Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
unter anderem Ohrringe von zweien seiner Opfer. Auf den Fotos sind hauptsächlich Mädchen und Frauen im Alter zwischen acht und Mitte dreißig zu sehen. Doch auffallend viele Bilder zeigen auch nackte Jungen.
Am 12. Juli ist Rodney wieder in Los Angeles und besucht Elizabeth. Er erzählt ihr von dem angeblichen Aufenthalt in Dallas. Währenddessen versucht die Polizei von Huntington Beach alles, um ihn möglichst bald festnehmen zu können. Am 23. Juli teilt Rodney Elizabeth mit, dass er am nächsten Tag kurzfristig nochmals nach Dallas muss. Zu der Reise kommt es aber nicht mehr.
Am Tag, als Rodney eigentlich fliehen will, verhaften Polizeibeamte ihn bei seiner Mutter, wo er weiterhin wohnt. Sie durchsuchen das Haus und nehmen alle Dinge, die sie als mögliches Beweismaterial einstufen, mit. Die Quittung für den Lagerschrank in Seattle findet ein Polizeibeamter in einem Buch, das Rodney in seinem Nachttisch aufbewahrt. Der Beamte notiert sich die Informationen darauf, ohne die Quittung mitzunehmen.
In Rodneys Wagen, der genau dem Automodell entspricht, das Dana Crappa später beschreiben wird, finden die Polizeibeamten einen Aktenkoffer. Darin sind Fotozubehör und zwei Schlüssel. Was die Beamten an diesem Tag mitnehmen, reicht aus, um Rodney in Untersuchungshaft zu behalten. Seine Kaution wird diesmal auf 250000 Dollar festgesetzt.
Rodney ruft seine jüngere Schwester an, Maria Christine De La Cerda, von allen Krissy genannt. Polizeibeamte hören das Telefonat mit; sie gewinnen den Eindruck, Rodney versuche Krissy möglichst unauffällig dazu zu bewegen, ihn zu entlasten. Daraufhin werden Krissy und Rodneys Mutter befragt. Beide versuchen, Rodney ein sicheres Alibi zu verschaffen. Doch sie behaupten, in Zeiträumen mit ihm zusammen gewesen zu sein, in denen er von vielen anderen Menschen nachweislich ganz woanders gesehen wurde. Damit wird schnell klar, dass ihre Aussagen wertlos sind.
Hinter den Masken des Rodney Alcala
Schon am Tag nach Rodneys Verhaftung fliegen zwei Polizeibeamte aus Los Angeles nach Seattle. Sie haben einen Durchsuchungsbefehl für den Lagerschrank dabei. Mit den Schlüsseln aus seinem Auto öffnen sie die beiden Vorhängeschlösser. Im Schrank finden sie Schmuck und Kartons mit mehr als 1700 Fotos und Negativen. Auf einem Karton steht: »Ode an New York von John Berger«.
Dieser Schrank bewahrt das Wertvollste auf, das Rodney besitzt: Trophäen. Sie sind seine einzige Möglichkeit, Menschen auf eine gewisse Art nahezukommen und sie in seinem Leben zu behalten. Das Innere des Schranks entspricht dem, was in Rodneys Innerem zu finden ist: eine riesige Sammlung bunter, ungewöhnlicher Augenblicke und intensiver Erlebnisse, die wie ungeordnete Puzzlestücke durcheinanderliegen. Egal, wie lange man den chaotischen Haufen betrachtet, es ist kein schlüssiges, vernünftiges Gesamtbild darin zu erkennen.
Rodney beobachtet die anderen Menschen durch seine Kamera. Er spielt ihnen vor, einer von ihnen zu sein, ist es aber nicht. Da ist immer eine Grenzlinie zwischen ihm und den anderen, die er nie überschreiten kann. In seiner Welt ist er – das Monster mit den vielen Gesichtern – allein und wird es immer sein. Deshalb »sammelt« er jene Menschen, die ihm gefallen, indem er ihre Abbilder, ihren Schmuck oder sogar ihr Leben mit sich nimmt. So werden sie zu einem Teil seiner Welt, da er kein Teil ihrer Welt werden kann.
Hinter all den Rollen, die er perfekt spielt, versteckt Rodney den Kern seiner Persönlichkeit: Er wusste noch nie, wer er in Wirklichkeit ist. Noch nicht einmal, »was« er eigentlich ist.
Rodney Alcala ist einfach, was er ist:
Mehr als die Summe vieler bunter, extremer, chaotischer Puzzlestücke.
Beispiele der unzähligen von Alcala aufgenommenen Fotos – von denen bis heute nicht geklärt ist, ob einige dieser Personen ebenfalls von ihm getötet wurden: »Gesammelte Menschen als Trophäen«.
Im März 2010 schließlich, nach mehreren vorhergehenden Verfahren, wird Rodney Alcala in Kalifornien zum Tode verurteilt, wegen der Morde an Robin Samsoe, Jill Barcomb, Georgia Wixted, Charlotte Lamb und Jill Parenteau. 2013 wurde er in New York zusätzlich zu 25 Jahren Haft verurteilt, nachdem er sich der Morde an Cornelia Crilley (1971) und Ellen Hover (1977) für schuldig bekannt hatte.
KAPITEL 2
ALICE IM VERBRECHERLAND:
DIE FASZINATION DES BÖSEN
Die Menschen sind Feinde dessen,
was sie nicht kennen
und was sie nicht verstehen.
(Ali Ibn Abi Talib)
Der tödliche
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