Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
»Bande« gewesen waren. Auch viele Einzelheiten, unter anderem die Art und Weise, wie das jeweilige Opfer getötet worden war, ließen es unwahrscheinlich erscheinen, dass derselbe Täter am Werk war.
Eine dauernde Achterbahnfahrt –
Wie der Psychopath sein Leben gestaltet
9. Süchtig nach »Kicks«
– Der Abenteurer
Weil Psychopathen weniger stark fühlen als andere, wird ihnen sehr schnell langweilig. Langeweile vertragen sie aber gar nicht gut. Sie fühlen sich dann innerlich leer, was sehr unangenehm ist. Diese Leere müssen sie auffüllen. Deshalb suchen sie sich immer wieder die verschiedensten Kicks. Eintönige Arbeit und längere monogame Partnerschaften halten sie meist nicht aus. Sie fühlen sich nur wohl, wenn sie viel Abwechslung haben und möglichst aufregende, ungewöhnliche Dinge erleben. Und wenn sie dabei Risiken eingehen, ist das noch ein zusätzlicher Kick.
Ein psychopathischer Dauereinbrecher beschrieb das mit den Worten: »Das Einbrechen hat mir nicht nur wegen dem schnellen Geld Spaß gemacht. Immer wenn ich einen Einbruch machte und dann, ohne erwischt zu werden, aus der Wohnung rauskam, war das ein starkes, sehr gutes Gefühl. Ich war hellwach, angenehm aufgeregt und einfach richtig gut drauf.« Solche Kicks fühlen sich für Menschen, die sie brauchen, wie ein Drogenrausch an. Deshalb wollen sie ihn immer und immer wieder erleben.
Derselbe Einbrecher sagte auf die Frage, was er bräuchte, um nicht rückfällig zu werden: »Wenn ich mir was wünschen könnte, wäre das ein Dauer-Abo für Bungeejumping oder irgendeine krasse Abenteuersportart. Dann könnte ich dieses starke Gefühl, das ich immer wieder brauche, auf legalem Wege bekommen und hätte einen wichtigen Grund weniger, kriminell zu werden.«
Diese Aussage ist medizinisch gesehen nicht abwegig. Denn die Sucht nach Kicks funktioniert wie die Sucht nach Glücksspiel, nach Sex, nach wahllosem Einkaufen oder nach Computerspielen. So etwas kann tatsächlich süchtig machen, es funktioniert ähnlich wie bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Wenn Menschen nach bestimmten Verhaltensweisen süchtig werden, nennt dies der Fachmann eine »stoffungebundene Sucht«: Betroffene führen sich nicht von außen einen Stoff wie Alkohol, Cannabis oder Kokain zu, um »gut drauf« zu sein, sondern sie tun etwas, das in ihrem Gehirn einen »körpereigenen Drogenschub« auslöst.
Eine wichtige vom menschlichen Körper selbst hergestellte »Droge« ist das als Glückshormon bekannte Dopamin. Allerdings ist Dopamin in Wirklichkeit kein Hormon, sondern ein sogenannter Neurotransmitter, also ein Botenstoff im Gehirn. Dopamin sorgt dafür, dass Menschen bestimmte Handlungen wiederholen. Danach schüttet das Gehirn nämlich wieder eine größere Menge Dopamin aus, was wir Menschen als sehr angenehmes Gefühl wahrnehmen – die Belohnung für das zuvor gezeigte Verhalten. Wenn ein Mensch also etwas tut, wenn daraufhin sein Gehirn mehr Dopamin ausschüttet und damit bewirkt, dass er sich wohler als vorher fühlt, dann wird dieser Mensch das gerade gezeigte Verhalten sehr wahrscheinlich wiederholen.
In der Entstehungsgeschichte der Menschheit war es sinnvoll, dass Verhaltensweisen, die für das Überleben des Einzelnen und der ganzen Art notwendig waren, durch Dopamin schnell »antrainiert« werden konnten. Dopamin wird ausgeschüttet, wenn der Mensch isst, trinkt, Sex hat und seine Nachkommen aufzieht. Doch dieses Prinzip hat sich vereinfacht gesagt im Laufe der Menschheitsgeschichte etwas »verselbstständigt«. Das menschliche Gehirn schüttet Dopamin heutzutage bei vielen Verhaltensweisen aus, die Menschen einfach nur als angenehm empfinden.
Das an sich müsste noch kein Problem sein, wenn nicht manche Menschen anfälliger als andere dafür wären, ständig dem nächsten »Dopaminschub« nachzujagen. Menschen, die zur Sucht neigen – egal ob nach Alkohol, Drogen oder bestimmten Verhaltensweisen –, haben vorher schon »Probleme«: Sie haben ihre Gefühle nicht im Griff, sie erleben öfter und stärker als andere Stress, Wut, Angst, Traurigkeit oder Langeweile. Wenn sie etwas tun, wodurch Dopamin ausgeschüttet wird, fühlen sie sich besser. Also tun sie es wieder, weil sie sich möglichst schnell wieder besser fühlen wollen. Bald verlieren sie alles andere aus den Augen und gieren nur noch nach dem nächsten Kick.
Psychopathische Menschen gehören offenbar zu jenen, die öfter als andere in den Kreislauf der »Jagd nach immer neuer Belohnung«
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