Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Verhältnisse. Er ließ sich von den wohlhabenden Damen, mit denen er Affären hatte, teure Geschenke machen. Als das nicht mehr reichte, überredete er seine feste Partnerin, sich zu prostituieren, um ihn finanziell zu unterstützen. Manche Psychopathen sind also wie eine besonders gefährliche Sorte von Mücken, die ihre Mitmenschen aussaugen und dann schnell weiterziehen. Sie tun genau das, was alle Parasiten tun: Sie ernähren sich von anderen Lebewesen, ohne jemals etwas zurückzugeben.
12. Ich will jetzt die Schokolade
– Der ungezügelte Genussmensch
Eltern von Kindern zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr kennen das: Wenn ihr Kleines etwas haben will, dann will es das auch sofort, und es schreit und weint, wenn es nicht schnell seinen Willen bekommt. Die meisten Kinder entwickeln sich weiter und lernen, dass sie diesen Willen nicht einfach so durchsetzen können. Sie lernen, auf andere Rücksicht zu nehmen und ihre Wünsche, wenn es erforderlich ist, zurückzustellen. Viele psychopathische Menschen tun dies nie.
Dass sie wie kleine Kinder auf etwas, worauf sie gerade Lust haben, nicht verzichten können, zieht sich als roter Faden durch ihr ganzes Leben. Stark ausgeprägte Psychopathen werden unter anderem deshalb früh kriminell, weil sie sofort Geld für Alkohol, Drogen, teure Kleidung oder schnelle Autos wollen. Dieses Geld auf »normalem« Wege zu verdienen, erscheint ihnen viel zu anstrengend und langwierig. Deshalb nutzen sie andere aus, begehen Betrugsdelikte, Einbrüche oder Überfälle.
Dass sie anderen schaden, ist ihnen dabei vollkommen egal, dass sie sich selbst schaden, allerdings meistens auch. Eigentlich müsste ihnen klar sein, dass ihr kriminelles Verhalten sie über kurz oder lang ins Gefängnis bringt. In dem Moment, wo sie etwas unbedingt wollen, spielt das für sie aber keine Rolle. Ein junger Gewaltstraftäter, mit dem ich arbeitete, beschrieb es so:
»Eigentlich müsste ich mir den Spruch ›Denk an die Strafe‹ auf die Hand tätowieren. Ich will nicht den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen. Aber wenn ich draußen bin und etwas unbedingt will, dann vergesse ich das. Ich fühle einfach keine Angst vor der Strafe und denke nur daran, wie ich möglichst schnell bekomme, was ich will. Durch die Therapie im Gefängnis habe ich verstanden, dass das ein echt großes Problem ist. Ich werde draußen jeden Tag bewusst daran denken müssen, dass mir die Angst vor Strafe fehlt und dass ich deshalb viel mehr als andere aufpassen muss, was ich tue. Wenn ich das vergesse, werde ich mein Leben im Gefängnis verbringen, und das will ich nicht.«
Mein mittelgradig psychopathischer Interviewpartner Carl zeigt ähnliche Probleme, seine »Impulse« zu kontrollieren. Einerseits beschreibt er seinen notorischen Geldmangel mit den Worten »Warum ist das Geld zu Ende, lange bevor der Monat vorbei ist?« Andererseits kauft er am Monatsanfang immer wieder viele Dinge, die er spontan haben will, obwohl er weiß, dass er nicht viel Geld zur Verfügung hat. Daher ist er meist spätestens eine Woche vor Monatsende pleite.
Das Prinzip »Worauf ich Lust habe, das will ich sofort, egal zu welchem Preis« zeigt sich auch in anderen seiner Lebensbereiche. Carl hat sich – wie viele psychopathische Menschen – schon öfter Ärger eingehandelt, weil er einfach nicht treu sein kann. Das war besonders auffällig, als eine Beziehungspartnerin, mit der er – in weiser Voraussicht seines »Treue-Problems« – eine »offene Beziehung« ausgehandelt hatte, nach einiger Zeit gewisse »Einschränkungen« von ihm einforderte: Er sollte mit keiner Frau mehr als zweimal sexuellen Kontakt haben, und zu einer bestimmten überhaupt keinen.
Interessanterweise setzte sich Carl genau über diese beiden Regeln hinweg. Mit jener Frau, die ihm seine Freundin ganz »verboten« hatte, unterhielt er sogar eine längere sexuelle Beziehung. Als er mir die Geschichte schilderte, fragte ich ihn, warum er genau die beiden Dinge getan hatte, die seine Beziehung – als alles aufflog – schließlich zerstörten. Darauf antwortete er, typisch psychopathisch: »Ich hatte Lust dazu, und deshalb war es mir die Sache wert.«
13. Adel verpflichtet, Psychopathie aber nicht
– Der Verantwortungslose
Da Psychopathen immer sich selbst die nächsten sind, fühlen sie sich anderen Menschen gegenüber zu nichts verpflichtet. Wenn sie Abmachungen treffen oder etwas versprechen, sehen sie nicht ein, dass sie sich daran halten sollten.
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