Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Versprechen: Wenn ich hier herausfinde, werde ich wiederkommen und andere hier herausholen.«
Erstaunlich viele Menschen mit ungewöhnlichen Eigenschaften und Persönlichkeiten – egal wie ausgeprägt – werden Wissenschaftler, Erfinder, Philosophen, Künstler, Entdecker, Politiker oder finden sonst einen sinnvollen, nützlichen Weg, ihre Besonderheiten einzusetzen. Aus diesem Grunde ist mir die Figur »Sherlock Holmes« – sowohl in den Romanen als auch in der aktuellen BBC-Fernsehserie – so sympathisch. Holmes hat ein deutlich anderes Gefühlsleben als die meisten Menschen, er braucht viel Abwechslung, um sich wohlzufühlen, und liebt es, Dinge sachlich zu betrachten und zu durchdringen. Diese Eigenschaften nutzt er für eine selbstbestimmte, kreative und äußerst sinnvolle Tätigkeit. Von daher empfinde ich eine gewisse Seelenverwandtschaft mit dieser Figur.
Die Autorin 2012 im Sherlock Holmes Museum in London.
Die Eigenschaften eines Menschen setzen ihm zwar Grenzen. Doch innerhalb dieser Grenzen gibt es einen Spielraum, der »freier Wille« genannt wird. Dieser Spielraum ist bei manchen größer als bei anderen. Manchmal verschwindet er auch völlig, beispielsweise, wenn jemand Wahnvorstellungen hat, also die Wirklichkeit nicht mehr als solche erkennen kann. Auch wenn ein Mensch in einen emotionalen Ausnahmezustand gerät, sich also nicht mehr beherrschen kann, ist sein freier Wille vorübergehend außer Kraft gesetzt. Menschen, die in diesem Zustand Straftaten begehen, werden von Juristen zu Recht als »vermindert schuldfähig« oder »schuldunfähig« eingestuft. Doch die meisten verfügen ihr Leben lang über ihren persönlichen Willensspielraum. Jeder Mensch kann lernen, ihn bewusst zu gebrauchen. Jeder hat die Möglichkeit zu entscheiden, ob er auch seine »Fehler und Schwächen« zum Nutzen für sich und andere Menschen einsetzen will.
Bei einigen der öffentlichen Vorträge, die ich mit dem Kriminalbiologen Mark Benecke zusammen hielt, kamen Jugendliche zwischen elf und sechzehn Jahren zu uns. Sie wollten ein Buch signieren lassen oder ein Foto machen – meist schüchterne Gestalten, in Begleitung von Verwandten oder anderen Erwachsenen, aber nie mit Freunden. Derart junge Zuhörer kommen wegen der »harten« Themen nur selten in unsere Vorträge. Diese aber zeigten ein so großes Interesse für Kriminalfälle, weil auch sie selbst auf die eine oder andere Art »anders« waren.
Meist waren sie erstaunt, wenn ich irgendwann sagte: »Die anderen in deinem Alter finden dein Interesse für solche Themen komisch, oder?« Zustimmendes Nicken, worauf ich fragte: »Hast du das Gefühl, dass sie dich nicht verstehen?« Ein weiteres Nicken, von einem überraschten Blick begleitet, also fuhr ich fort: »Du hast das Gefühl, dass du irgendwie anders bist als die anderen, richtig?«, worauf ein letztes, von schüchternem Lächeln begleitetes Nicken folgte. Dann sagte ich lächelnd: »Mark und ich waren in deinem Alter genauso. Wenn du älter bist, kannst du deine Besonderheiten für etwas Gutes einsetzen. Etwas, das dir Spaß macht und in dem du gut sein wirst. Also mach dir nicht zu viel daraus, dass die anderen dich nicht verstehen.« Die Jugendlichen, mit denen ich solche Gespräche führte, gingen mit einem guten Gefühl nach Hause.
Alexander – Ein psychopathischer Psychologe
Im Schleier der Gelassenheit,
wo ist alles verloren gegangen?
Die Blumen der Naivität,
begraben unter einer Schicht aus Frost.
(I’m Looking Forward To Joining You, Finally – Nine Inch Nails)
Eine der angenehmsten Seiten an meinem »Berufsmodell« sind die vielen interessanten menschlichen Begegnungen. Einige davon ergeben sich durch die Kriminalpsychologie-Kurse, die ich in meiner Praxis in Köln anbiete. Dorthin kommen einerseits sehr viele Studenten, die sich überlegen, ob eine berufliche Laufbahn im forensischen Bereich für sie interessant ist. Andererseits sind unter den Kursteilnehmern auch immer wieder Menschen, die ungewöhnliche Lebensgeschichten und ungewöhnliche Persönlichkeitseigenschaften haben. Einige von ihnen sind Gothics – in Deutschland besser bekannt als »Gruftis« – oder BDSMler – besser bekannt als Sadomasochisten. Besonders Vertreter dieser Subkulturen finden es interessant, mit mir im Anschluss an die Kurse offen reden zu können, weil ich mich mit beiden Gruppen sehr gut auskenne.
Manchmal nehmen auch Menschen einfach über E-Mail Kontakt mit mir auf, die noch wesentlich mehr von
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