Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
den »Durchschnittsmenschen« unserer Gesellschaft unterscheidet. Einer davon war Alexander; ein Psychologe, der mich zunächst wegen eines Austausches über fachliche Themen anschrieb. Er war über das Buch »Aus der Dunkelkammer des Bösen« auf mich aufmerksam geworden. Schnell fand er heraus, dass zwei Themen, mit denen ich mich bevorzugt beschäftige, die Psychopathie und die Borderline-Störung sind.
Das erste, was ich von Alexander erfuhr, war, dass er über diese Persönlichkeitsstörung sehr viel wusste. Borderliner haben unter anderem häufige Stimmungsschwankungen und erleben manche Gefühle überraschend plötzlich, stark und lang anhaltend. Bald teilte Alexander mir mit, dass er sich nicht nur aus beruflichen Gründen mit Borderline beschäftigt, sondern auch weil er seit Jahren in einer festen Beziehung mit einer Borderlinerin lebt. Das fand ich sehr interessant, weil es eine der Störungen ist, an der Partnerschaften oft zerbrechen. Von E-Mails über dieses Thema kamen wir auf andere psychologische Bereiche. Irgendwann hatte Alexander einen beruflichen Termin in Köln, den wir zum Anlass nahmen, uns zum Gespräch unter Kollegen bei einem Abendessen in einem Restaurant zu treffen.
Während wir uns unterhielten, fiel mir auf, dass mein Berufskollege zwar sehr freundlich, aber auch irgendwie sachlicher und kühler wirkte als viele andere Menschen. Alexanders Art zu sprechen war – für mich angenehm – logisch und emotionslos. Auch seine Mimik war, egal um welche Themen es ging, stets außergewöhnlich entspannt. Irgendwann kam er auf die Fernsehserie »Dexter« zu sprechen. »Dexter« gibt interessanterweise auch der erwachsene Sohn des psychopathischen Serienmörders Richard Kuklinski in seinem Facebook-Profil als eine seiner Lieblingsserien an. Da ich nicht fernsehe und die Serie damals nicht kannte, ließ ich mir von Alexander davon berichten, was er daran interessant findet.
Wir unterhielten uns recht leise, mitten in einem lauten, vollen arabischen Restaurant. Alexander erzählte mir, dass die Figur Dexter einen Psychopathen darstellen soll. In der Serie wird dies darauf zurückgeführt, dass Dexter als kleines Kind mit ansieht, wie seine Mutter mit einer Kettensäge getötet und zerstückelt wird. Der Polizist Harry findet den Jungen am Tatort, neben der Leiche seiner Mutter, und adoptiert ihn. So wächst Dexter in einer netten, normalen, liebevollen Familie auf. Doch er entwickelt nie normale Gefühle. Dexter denkt, beobachtet und analysiert viel, fühlt aber so gut wie nichts.
Sein Adoptivvater bemerkt früh, was mit Dexter los ist, und auch, dass er einen starken Drang zum Töten hat. Deshalb bringt er Dexter moralische Regeln bei und lehrt ihn, sich unter den »normalen« Menschen unauffällig zu verhalten. Dazu gehört, Gefühle vorzutäuschen, die Dexter gar nicht empfindet, und nach logischen Regeln einzuschätzen, was in anderen Menschen vorgeht. In einer Szene fragt Dexter als Kind seinen Adoptivvater: »Werde ich für immer so sein?« Harry antwortet: »Ja, und nichts kann daran etwas ändern, aber du kannst es umleiten, es kontrollieren. Wir können es für etwas Gutes nutzen.« Harrys Vorstellung von diesem »Guten« ist allerdings etwas fragwürdig.
Er trichtert Dexter ein, nur jene zu töten, die es aus Harrys Sicht »verdient« haben. Dies sind, Harrys »Ehrenkodex« zufolge, Mörder, die von den Behörden nicht zur Verantwortung gezogen werden. Harry bringt Dexter also bei, seinen Tötungsdrang in eine Selbstjustiz umzulenken, die Harry als moralisch richtig empfindet – eine fragwürdige Haltung, die viele der Zuschauer der Serie jedoch offenbar teilen. So wird Dexter Spurenkundler bei der Polizei von Miami, Spezialist für die Auswertung von Blutspuren. In diesem Beruf kann er töten, ohne selber erwischt zu werden.
Nachdem Alexander mir all dies erzählt hatte, fragte er mich, was ich über diese Grundidee denke. Und was sei mit Menschen in der Wirklichkeit, die zwar weder töten noch andere Straftaten begehen, die dennoch einiges mit Dexter gemeinsam haben: Menschen, die fast nichts fühlen und problemlos in der Lage wären, jemanden zu töten, wenn es ihnen sinnvoll und machbar erscheinen würde. Die sich gezielt steuern, ihren Mitmenschen die meiste Zeit etwas vorspielen, die im Gegensatz zu vielen kriminellen Psychopathen vorausschauend planen und sich in der Gesellschaft dauerhaft und perfekt tarnen.
Ich antwortete, dass es einige Literatur über nicht-kriminelle
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