Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
anderen Menschen herzustellen, werden durch zu viele Stresshormone in der Kindheit beschädigt. Ein gefährlicher Teufelskreis entsteht: Genau die Hirnbereiche, die Stress verarbeiten sollen, macht zu viel früher Stress kaputt. Dadurch kann das Gehirn immer schlechter mit unangenehmen Erlebnissen umgehen, schüttet immer häufiger immer mehr Stresshormone aus, was deren Überdosierung und ihre schädliche Wirkung auf das Gehirn immer weiter vorantreibt.
Doch wie stark der Schaden durch Traumatisierung wird und welche Hirnteile besonders beschädigt werden, das beeinflussen auch die Erbanlagen des Kindes. Falls Sie sich das nur schwer vorstellen können, ein Alltagsbeispiel zum Thema »Erbanlagen«: Ihnen ist sicher schon aufgefallen, dass, wenn verschiedene Menschen die gleiche Menge Alkohol trinken, der eine schon deutlich angetrunken sein kann, während der andere noch sehr nüchtern wirkt. Das hat nicht nur damit zu tun, ob jemand Alkohol gewohnt ist, sondern auch, welche Gene er hat. Asiaten beispielsweise vertragen wegen ihrer Erbanlagen Alkohol meist sehr viel schlechter als Europäer. Osteuropäer – ich komme aus Polen und weiß das aus eigener Beobachtung – vertragen oft besser Alkohol als Westeuropäer. Das bedeutet, unsere Gene wirken sich darauf aus, wie unser Körper auf Dinge, die wir erleben oder zu uns nehmen, reagiert.
Wenn verschiedene Kinder die gleichen traumatischen Erlebnisse haben, entscheiden Erbanlagen darüber, wie gut ihr Gehirn zu diesem Zeitpunkt eine so starke Belastung schon »abpuffern« kann. Das wirkt sich beispielsweise darauf aus, wie schnell und wie lange wie viele Stresshormone in solchen Situationen ausgeschüttet werden. Somit können die Schäden am Gehirn unterschiedlich schwer ausfallen und in unterschiedlichen Hirnteilen auftreten, abhängig von den Erbanlagen des traumatisierten Kindes. Deswegen können Menschen mit ähnlichen schlimmen Kindheitserlebnissen als Erwachsene unterschiedliche Probleme haben. Sicher ist nur: Je früher sich die traumatischen Erlebnisse ereignen, je länger und einschneidender sie sind, desto gravierender wird auf jeden Fall die Veränderung im Gehirn und somit auch die psychische Störung als Erwachsener ausfallen.
Bei Erwachsenen, die in ihrer Kindheit über längere Zeit schwer traumatisiert wurden, ist das Gehirnzentrum für die Verarbeitung von Gefühlen – die Amygdala – kleiner als bei normalen Menschen. Ebenso ist ein Teil des Gehirns verkleinert, der für die Verarbeitung von Erinnerungen wichtig ist – der Hippocampus. Auch der »Balken«, der beide Gehirnhälften miteinander verbindet – der Corpus Callosum –, kann etwas kleiner als normal ausfallen. Außerdem kann der Aufbau eines wichtigen vorderen Teils des Gehirns – des präfrontalen Cortex – beschädigt sein. Dies ist genau der Teil, der bei Phineas Gage durch die Eisenstange zerstört wurde. Dieser genau hinter unserer Stirn sitzende Hirnteil arbeitet eng mit dem »Gefühlszentrum« des Gehirns zusammen. Er lässt uns unter anderem verstehen, was andere Menschen fühlen, er ist beteiligt an moralischen Entscheidungen, die wir treffen, und er steuert unser Verhalten anderen Menschen gegenüber.
Diese deutlichen Veränderungen bewirken, dass die Betroffenen anders fühlen als normale Menschen, weil ihre Gefühle schlechter vom Gehirn verarbeitet und gesteuert werden. Sie empfinden zu oft oder zu selten zu starke oder zu schwache Gefühle. Bei einigen wechseln diese Zustände auch. Das macht sich für sie und andere vor allem in Situationen bemerkbar, in denen »Gefühle« ausgelöst werden oder sollten. Im falschen Moment zu viel oder zu wenig zu empfinden, wirkt sich nämlich direkt darauf aus, was ein Mensch denkt, und somit auch darauf, was er tut. Wie Sie am Beispiel von Psychopathen sehen können, beeinflusst dies ganz erheblich, wie die Persönlichkeit eines erwachsenen Menschen aussieht.
Denn so frühe und deutliche Störungen der Gefühle wirken sich auf sehr viele wichtige andere Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen des Menschen aus. Sie beeinflussen unter anderem:
– ob er aus schlechten Erfahrungen lernt oder immer wieder die gleichen Fehler macht.
– ob er sich aus Angst – sei es vor Gefahr oder Strafe – an Regeln hält.
– ob er gefährliche Dinge tut oder extreme Erlebnisse sucht, weil er entweder zu wenig fühlt und daher starke »Anregung« braucht oder weil er zu viele schlechte Gefühle damit überdecken will.
– ob er
Weitere Kostenlose Bücher