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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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verwenden. Deshalb stellte er, als er beginnen sollte, mir tiefer gehende Dinge über sich zu erzählen, eine aus psychopathischer Sicht vernünftige Bedingung: Für jede allzu persönliche oder unangenehme Frage durfte er eine gleichwertige Gegenfrage stellen.
    Dieses Prinzip – »Leistung gegen Gegenleistung« – ist in verschiedenen Wissenschaften als »Tit for Tat« oder »Quid pro quo« bekannt. Beide Bezeichnungen bedeuten das Gleiche: »dieses für das«. Beim Prinzip »Quid pro quo« wird eine entsprechende Vereinbarung vorher ausgehandelt. Das Prinzip »Tit for Tat« funktioniert ohne vorherige Absprache. Wenn also Person A etwas gibt und Person B ihr etwas Gleichwertiges zurückgibt, dann gibt wiederum Person A etwas Gleichwertiges und so weiter. Der Politikwissenschaftler Robert Axelrod beschrieb diese Strategie in seinem 1984 veröffentlichten Buch »Die Evolution der Kooperation«. Sowohl bei »Tit for Tat« als auch bei »Quid pro quo« geht es um das Prinzip, ein möglichst exaktes Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen herzustellen.
    Alexander benutzte das Prinzip »Tit for Tat«, als er mich bei unserem ersten persönlichen Gespräch »testete«. Er gab mir einen kleinen Einblick in sein »wahres« Wesen, indem er sowohl bei dem, was er sagte als auch wie er es sagte, keine Gefühlsregungen »vorspielte«. Da ich mich auf diese Ebene einließ und auf dieselbe Weise mit ihm sprach, erbrachte ich eine »gleichwertige Gegenleistung auf Verhaltensebene«. Damit hatte ich den ersten Vertrauenstest bestanden, sodass er mir noch mehr über sein wahres Wesen verriet.
    Psychopathisches Misstrauen und Möglichkeiten,
damit umzugehen
    Vor allem psychopathische Menschen testen das Verhalten ihrer Gegenüber häufig und gezielt. Sie sind wegen der Erfahrungen, die sie in ihrer Kindheit machten, sehr misstrauisch. Tieferes Vertrauen können sie kaum je entwickeln. Falls sie Ansätze dazu zeigen, benutzen sie »Absicherungen«, indem sie von ihrem Gegenüber gleichwertige Gegenleistungen oder andere »Sicherheiten« erwarten.
    Würde ein solcher Mensch mit einem Therapeuten sprechen, so würde er eventuell bis zu einem gewissen Grad private Informationen preisgeben. Dies aber nur, weil er wüsste, dass der Therapeut, wenn er diese Informationen weitergibt, seinen Beruf nicht mehr ausüben darf. Eine weitere Strategie, die ich bei Gesprächen mit mittelgradig psychopathischen Menschen erlebe, ist die, zwar »brisante« persönliche Informationen zu liefern, allerdings so, dass genaue Zeiten, Orte und andere beteiligte Personen nicht genannt werden. Damit geben mir die Gesprächspartner zwar wichtige Informationen, aber auf eine Art, die ich nicht gegen sie verwenden kann. Diese beiden Strategien schlage ich inzwischen bewusst vor, wenn ich – wie in den allermeisten Fällen – entscheide, mich nicht auf das »Quid pro quo«-Spiel einzulassen.
    Ein tieferes Vertrauensverhältnis auf privater, freundschaftlicher Ebene – wie ich es seit längerem mit drei mittelgradig psychopathischen Menschen, die einander jedoch nicht kennen, habe – funktioniert längerfristig aber stets nach dem Prinzip: »Wir wissen gegenseitig viel übereinander, also bauen wir damit keinen Mist.« Die meisten normalen Menschen entscheiden sich irgendwann, engen Freunden ein großes Maß an Vertrauen entgegenzubringen. Sie tun dies gefühlsmäßig, sie »schenken« Vertrauen, ohne eine »Absicherung« zu brauchen. Dies können sich psychopathische Menschen nicht einmal vorstellen. Es erscheint ihnen aufgrund logischer Überlegungen einfach dumm, so etwas zu tun. Einzige Ausnahme können Menschen sein, mit denen sie über viele Jahre so gute Erfahrungen gemacht haben, dass sie als »vertrauenswürdig« eingestuft werden.
    Ein extremes Beispiel für das Misstrauen eines kriminellen Psychopathen war Richard Kuklinski. Als er merkte, dass die Ermittlungsbehörden ihm auf den Fersen waren, wollte er alle möglichen Zeugen, die gegen ihn hätten aussagen können, ausschalten. Einige von ihnen bezeichnete er als Freunde, über einen sagte er sogar: »Ich mochte ihn, um genau zu sein mochte ich ihn wirklich. Einer der wenigen Menschen, die ich jemals wirklich gemocht habe.« Doch der »Nutzen« dieser Freundschaften überwog ab einem gewissen Moment für Kuklinski nicht mehr die möglichen »Kosten«: die Gefahr, einer seiner »Freunde« könnte ihn verraten und damit ins Gefängnis bringen oder seiner Familie etwas antun. Damit fiel ihm die

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