Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
dieses seltsamen Zusammentreffens von zwei krankhaft gestörten Persönlichkeiten. Jeder einzelne der beiden brachte in ihre Beziehung einen Teil seiner Persönlichkeit ein, was ihnen erst möglich machte, dieses Verbrechen zu planen und auszuführen.«
Darrow sagt in seinem Abschlussplädoyer unter anderem: »Dies war eine sinnlose, nutzlose, ziellose, motivlose Handlung zweier Jungs. (…) Da war kein Hauch von Hass, kein Funke Bosheit, da war keine Gelegenheit, um grausam zu sein, abgesehen davon, dass der Tod grausam ist – und der Tod ist grausam.« Darrow will damit betonen, dass Nathan und Richard Robert nicht gequält oder gefoltert haben, sondern ihn »einfach nur« töten wollten. Sie hätten also keine Freude daran gehabt, noch zusätzlich grausam ihm gegenüber zu handeln. Das macht das Ganze natürlich für einen normal fühlenden Menschen keinesfalls erträglicher, aber Darrow hat auch wirklich nicht viel Spielraum, um irgendetwas Positives für die jungen Männer ins Feld zu führen.
Weiterhin räumt er zwar ein, Nathan und Richard seien zurechnungsfähig; dennoch seien die beiden – das streitet wirklich kein Mensch ab – offensichtlich zutiefst in ihren Persönlichkeiten gestört. Dabei betont er, was auch die Gutachter bestätigen: »Wären sie normal gewesen, dann hätten sie dieses Verbrechen nicht begangen.«
Abschließend sagt der Anwalt etwas, wovon er und alle anderen sicher zutiefst überzeugt sind, was aber so nicht ganz richtig ist: »Die Aussagen in diesem Fall offenbaren ein Verbrechen von einzigartiger Grässlichkeit. Es ist in gewissem Sinne unerklärlich. Doch das macht es nicht weniger unmenschlich und abscheulich.« Darrow und alle anderen irrten seinerzeit insofern, als sie glaubten, ein Verbrechen wie dieses sei unerklärlich und in dieser Form daher auch einzigartig.
Vorhersagen, Zufälle und der freie Wille
Heutzutage lässt sich mithilfe all der Informationen, die Wissenschaftler mittlerweile über Psychopathie haben, insbesondere des »Psychopathie-Baukastens«, der auf der Checkliste von Robert Hare basiert, sehr gut erklären, was in Nathan und Richard vorgegangen ist. Es lässt sich nicht nachfühlen, aber logisch begreifen. Der Fall Franks zeigt, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale unter bestimmten Umständen tatsächlich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu bestimmten Verhaltensweisen führen.
Beim Versuch, ein bestimmtes Verhalten aus bestimmten Persönlichkeitseigenschaften abzuleiten und vorherzusagen, gibt es allerdings zwei große Unsicherheitsfaktoren:
Den Faktor »Zufall«, der eine Geschichte unvorhergesehen in die eine oder andere Richtung leiten kann.
Den Faktor »freier Wille«, der zwei Menschen mit fast identischen Eigenschaften dennoch dazu bewegen könnte, in einer Situation unterschiedliche Entscheidungen zu treffen.
Angewendet auf Nathan und Richard, die als Verbrecherduo »Leopold und Loeb« in die Kriminalgeschichte eingingen, kann man daher folgende Fragen stellen und beantworten:
– War es wahrscheinlich, dass zwei so ähnliche, sehr ungewöhnliche Männer sich begegnen?
– Nein, hier war der Faktor »Zufall« entscheidend.
– War es wahrscheinlich, dass sie, nachdem sie sich begegnet waren, Freunde wurden?
– Ja, denn Menschen suchen sich eher Freunde, mit denen sie viel gemeinsam haben. Da diese beiden mit den meisten anderen in ihrem Umfeld nur sehr wenig gemeinsam hatten, war es sehr wahrscheinlich, dass sie sich anfreundeten.
– War es wahrscheinlich, dass sie sich in ihren Persönlichkeitsmerkmalen gegenseitig bestärken würden?
– In diesem Fall: Ja, denn da Nathan und Richard gegenüber ihren Mitmenschen die gleichen bösartigen, feindseligen Sichtweisen hatten, gab es kein Korrektiv. Sie bestätigten sich gegenseitig in diesen Einstellungen und trieben sie immer weiter auf die Spitze. Hätte einer von ihnen in zumindest einigen Dingen eine andere, menschenfreundlichere Haltung gehabt, dann hätte er diese Geschichte in eine völlig andere Richtung lenken können.
– War es wahrscheinlich, dass die Persönlichkeitsmerkmale der beiden in schädliches Verhalten münden?
– Ja.
– Hätte jemand, der Nathan und Richard privat kannte, vorhersehen können, dass diese beiden Männer eine solche Straftat begehen?
– Nein. Menschen mit psychopathischen Merkmalen sind derart begnadete Schauspieler, dass niemand – nicht einmal enge Freunde – wahrnehmen kann, wie sie wirklich sind. Und selbst wenn es jemand tut –
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