Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
reichen jungen Sohn einer angesehenen Familie nicht im Polizeikommissariat von Chicago befragen, da sich dort wegen des Mordes sehr viele Reporter herumtrieben. Daher bestellte er Nathan zur Befragung in ein Zimmer des großen, teuren »La Salle«-Hotels. Der Student blieb über die gesamte, mehrstündige Befragung, die sich bis vier Uhr morgens hinzog, ruhig und entspannt. Zunächst gab er an, er besitze eine entsprechende Brille, die er aber nur zum Lesen und Schreiben nutze. Er habe sie gerade nicht dabei, sie müsse wohl zu Hause sein.
Bei der Suche vor Ort ergab es sich, dass er die Brille »überraschend nicht finden konnte«. Auch das machte ihn nicht nervös, er hatte schließlich längst eingeräumt, in dem Gebiet, wo sie gefunden worden war, öfter Vögel zu beobachten. Das letzte Mal habe er dies am Wochenende vor der Tat getan, begleitet von zwei Freunden, die das auch bestätigen könnten. Nathan lieferte nun ein perfektes Schauspiel ab, er tat völlig überrascht und meinte: Na klar! Sicher sei die Brille aus der Brusttasche seines Anzugs gefallen, als er dort war. Er könne sich erinnern, dass er dort an jenem Wochenende gestolpert sei, dabei müsse die Brille wohl herausgefallen sein. Die Polizei stellte die Situation nach, indem sie die Brille in seine Brusttasche steckte. Aber egal wie oft er den »Sturz« wiederholte, die Brille fiel einfach nicht.
Dies kam den Polizisten zwar verdächtig vor, doch es war alles andere als ein verwendbarer Beweis. Im Laufe der Befragung fiel den Polizisten lediglich auf, dass Nathan niemals nervös wurde und schnelle, plausible Antworten auf alle Fragen hatte. Zum Tattag gab er an, er sei mit seinem sehr guten Freund Richard unterwegs gewesen, sie hätten im Lincoln Park Vögel beobachtet, danach ein Mittagessen eingenommen und seien etwas mit dem Auto herumgefahren. Dabei hätten sie zwei junge Frauen getroffen, die sie ein Stück mitnahmen. Allerdings hätten sie die beiden nicht nach deren Nachnamen gefragt. Sie hätten die Frauen etwas später dort abgesetzt, wo sie hinwollten, und wären dann zusammen zum Haus von Nathans Eltern gefahren, weil Nathan versprochen hatte, seine Tante und seinen Onkel, die zu Besuch waren, nach Hause zu fahren.
Immer wieder versuchten die Ermittler, Nathan irgendwie nervös zu machen, für den Fall, dass er doch der Täter sein könnte. So fragten sie ihn nach seiner Schreibmaschine. Er gab eine, die er besaß, zur Überprüfung. Die Polizei wollte auch Schriftproben haben, die Nathan per Schreibmaschine getippt hatte. Daher besorgte sie sich einige von ihm geschriebene Briefe. Der Inhalt erstaunte sie an einigen Stellen, es ging unter anderem um »ungewöhnliche sexuelle Vorlieben«. Nathan blieb cool. Er habe den Text eines italienischen Autors übersetzen wollen, der über perverse sexuelle Verhaltensweisen schrieb. Sich mit ungewöhnlichen Themen zu beschäftigen, sei doch keine Straftat. Weiterhin räumte Nathan entspannt ein, dass er natürlich durch seine Bildung in der Lage gewesen wäre, einen Brief zu verfassen, wie er von dem oder den Entführern geschrieben worden war. Doch da sei er ja bei weitem nicht der Einzige.
Zur gleichen Zeit wurde in einem anderen Zimmer des Hotels auch Richard befragt. Dessen Geschichte über den Tattag stimmte nicht ganz mit der seines Freundes überein. Er verlor kein Wort über die »zwei jungen Frauen« und sagte, er habe den Abend alleine verbracht. Da Nathan wusste, dass Richard seine Version mit den jungen Frauen nicht kennen konnte, spannte er einen gemeinsamen Freund ein, um dass Problem zu lösen. Dieser Freund konnte Richard dahingehend instruieren, dass er der Polizei gegenüber den sexuellen Kontakt mit den Frauen »zugab«. Es sei für zwei junge Männer aus gutem Hause natürlich äußerst unangenehm, jedoch erfordere die Situation, dass sie diese peinliche Geschichte gestehen müssten.
Und schon stimmten die beiden Geschichten über den Tattag wieder überein. Richard war überdies so schlau, dass er »peinlich berührt« einräumte, er habe an besagtem Tag auch »ein paar Gläser über den Durst getrunken«, weshalb er sich leider nicht an Details erinnern könne. Die jungen Männer blieben noch immer sehr entspannt und sprachen sogar von sich aus mit ein paar Reportern. Diesen sagten sie, dass sie volles Verständnis für die Ermittlungen der Polizei hätten und keinesfalls verärgert seien. Nathan gab sogar die Geschichte von der »verlorenen« Brille zum Besten.
Kurz
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