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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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Entlassung nicht mehr gefährlich sein wird? Welche psychologischen Methoden muss ich bei ihm anwenden, damit er sich so verändert, dass er für niemanden mehr eine Gefahr darstellt?
    All diese Fragen beantworten Therapeuten nicht – wie viele Menschen leider glauben – mit ihrem »Bauchgefühl«. Sie nutzen vielmehr wissenschaftlich gut erforschte psychologische Modelle, um festzustellen, welche besonderen Eigenschaften ein Täter hat. Sie schätzen ihn selbstverständlich nicht nur anhand dessen ein, was er sagt. Sie berücksichtigen zusätzlich auch alles, was über seine Vorgeschichte, sein Leben und seine Tat bekannt ist. Außerdem fließt in die psychologische Einschätzung mit ein, wie er sich in Haft verhält. Erst nachdem der Therapeut den Täter mithilfe all dieser Informationen psychologisch eingeschätzt hat, plant er, mit welchen Therapiemethoden dieser behandelt werden soll. Der Täter wird während seiner mehrere Jahre dauernden Therapie immer wieder von Therapeuten, Sozialarbeitern und Gutachtern beurteilt. Die weit verbreitete Mär, Therapeuten würden den Tätern, die sie behandeln, unbesehen glauben und bei ihnen immer vom Besten ausgehen, ist also vollkommen absurd.
Jenseits von Gut und Böse
    In einem Interview für die Zeitung »Die Welt« fragte die Journalistin Maria Braun: »Josef Fritzl ist der Psychopath aus Österreich, der seine Tochter 23 Jahre lang in seiner Kellerwohnung gefangen hielt, sie vergewaltigte und sieben Kinder mit ihr zeugte. Sie schreiben in Ihrem Buch ›Aus der Dunkelkammer des Bösen‹ von seiner Kindheit, und ich hatte plötzlich Mitleid mit ihm. Ist das beabsichtigt?«
    Meine Antwort war: »Ich wollte dem Leser zeigen, warum jemand so grausam wird. Es gibt Erklärungen für so etwas. Und da ist Mitgefühl in Ordnung, obwohl es natürlich keine Entschuldigung für seine Verbrechen gibt.«
    Ein Leser kommentierte den Artikel im Internet mit den Worten: »Psychologen wollen doch immer an das Gute im Menschen glauben, sonst könnten sie ihren Beruf an den Nagel hängen!«
    Die Meinung dieses Lesers ist meiner Erfahrung nach weit verbreitet. Der »normale« Gedankengang ist: Jemand, der so etwas Grauenvolles tut, muss als ganze Person zutiefst böse sein. Wenn jemand so böse ist, dann ist er kein Mensch mehr, sondern ein Monster. Und »böse« Monster muss man vernichten, um »gute« Menschen vor ihnen zu schützen.
    Leider ist die Welt nüchtern betrachtet nicht ganz so einfach. Sie zerfällt nicht in entweder »gut« oder »böse«. Ein eher harmloses Beispiel dafür, wie sinnlos dieses Schubladendenken ist: Der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King hat sein Leben dafür riskiert, dass zukünftige Generationen schwarzer US-Amerikaner nicht unter der unmenschlichen Rassen-Diskriminierung leiden. Wer von Ihnen würde sein Leben für so ein hohes Ziel opfern? Er muss ein zutiefst guter Mensch gewesen sein, oder? Wussten Sie aber, dass er seine Frau häufig betrog, dass sie davon wusste und darunter litt? Ist es nicht »böse«, seinen Partner zu betrügen, ihm damit sehr wehzutun und ihn trotzdem immer weiter zu hintergehen? Die meisten Menschen würden diese Frage bejahen. Ist Martin Luther King also ein böser Schürzenjäger, der ständig seine Frau verletzt hat und dem Sex wichtiger war als ihr Leid, oder ist er ein strahlender Held, der sein Leben für ein hohes Ziel opferte? Oder ist er beides? Und wenn ja, wiegt eine »gute« Handlung eine »böse« Handlung auf? Es gibt viele solcher Beispiele. Sie werden später die Gelegenheit haben, sich selbst in dieser Sache zu prüfen und herauszufinden, ob Sie wirklich ein so »guter« Mensch sind, wie Sie insgeheim sicher glauben.
    Wenn Sie meine Art, mit diesem Problem umzugehen und zu arbeiten, nachvollziehen möchten, dann sollten Sie zunächst verstehen: Ich finde die Straftaten, welche die Täter begehen, zutiefst falsch, denn sie schaden damit ihren Opfern, deren Angehörigen und sogar ihren eigenen Angehörigen. Dieser Schaden ist durch nichts zu entschuldigen. Das Leid der Opfer ist ungerecht und furchtbar.
    Doch wer an diesem Punkt stehen bleibt, wer den Täter als Monster sieht, das schon immer ein Monster war und immer eins sein wird, macht es sich zu einfach. Solche Täter und ihre Taten gibt es so lange, wie es Menschen gibt. Wenn wir sie nur wegsperren oder töten, dann werden wir nie begreifen, warum sie so werden und was wir dagegen tun können. Viele weltweite Untersuchungen haben aber inzwischen

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