Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
verkaufen sich Berichte über sexuellen Missbrauch von Kindern und Vergewaltigung von Erwachsenen aber immer noch viel besser, wenn sie von Fremden – also dem »bösen schwarzen Mann«, der vielen Menschen im Kopf herumspukt – begangen werden. Ausnahme sind Missbrauchstaten in kirchlichen Organisationen, Heimen und Schulen, die seit einigen Jahren für Schlagzeilen sorgen. Weil also auch bei Sexualstraftaten die Berichte nicht ansatzweise im richtigen Verhältnis zu den wirklichen Fällen stehen, ist in der Bevölkerung die »gefühlte« Gefahr, dass fremde Männer besonders oft die Täter sind, viel größer, als es real der Fall ist.
Gutachter als Sündenböcke, Täter als unverbesserliche Bestien
– Hetzkampagnen gegen Therapie von Straftätern
Leider lässt sich auch die Verunglimpfung der Therapie von Straftätern in den Medien immer gut verkaufen. Das löst beim Leser nicht nur Angst und Hass gegenüber den Tätern aus, sondern liefert ihm auch noch einen kleinen »Bonus«: Er kann diese Gefühle im selben Tonfall und mit denselben Pseudoargumenten ventilieren, vorzugsweise in der Gruppe, beispielsweise am Arbeitsplatz oder in der Kneipe.
So gibt es immer mal wieder Hetzkampagnen gegen forensische Psychiater und Psychologen, die als Therapeuten und Gutachter arbeiten. Manchmal reicht es schon aus, dass ein forensischer Experte in einem Interview versucht, die Ursachen für psychische Besonderheiten eines Täters mithilfe seiner Lebensgeschichte zu erklären. Schnell wird dies fälschlicherweise so aufgefasst und dargestellt, als wollten Psychologe oder Psychiater schwere Straftäter »entschuldigen«. Ein Problem, das ich, wie schon beschrieben, aus eigener Erfahrung kenne.
Mir sind Fälle bekannt, in denen Gutachter daraufhin Drohbriefe erhielten, von den üblichen Beleidigungen im Internet ganz zu schweigen. Wenn schon die Beschreibung bloßer Ursachensachen für psychische Störungen solche Folgen haben kann, können Sie sich vielleicht vorstellen, was sich abspielt, wenn ein Straftäter, der unter anderem aufgrund eines positiven Prognosegutachtens entlassen wurde, rückfällig wird – was selten der Fall ist. Entlassungsprognosen zu erstellen, ist auch deswegen kein besonders beliebter Job.
Entlassungsprognosen sollen Tätern, die sich durch Therapie tatsächlich dauerhaft stark verändern und nie wieder rückfällig werden, die Möglichkeit eröffnen, nach dem Abbüßen ihrer Schuld in Haft ein neues Leben zu beginnen. Das bedeutet, ein forensischer Psychologe oder Psychiater, der eine Entlassungsprognose schreibt, kommt nach sehr umfangreicher Prüfung eines Falles unter Umständen zu dem Ergebnis, dass die Rückfall-Wahrscheinlichkeit »eher gering« oder »sehr gering« ist. Andernfalls wären Entlassungsprognosen unnötig.
Doch ein Gutachter, der so die Rückfall-Wahrscheinlichkeit eines Täters einschätzt, geht damit jedes Mal auch ein persönliches Risiko ein. Wie ich bereits erklärt habe, gibt es bei solchen Entscheidungen nie absolute Sicherheit.
In den seltenen Fällen, wo Straftäter entlassen wurden und wieder eine schwere Straftat begingen, stellten Medienberichte die forensischen Gutachter oft als Sündenböcke dar und schlachteten die tragischen Einzelfälle für ihre eigenen Interessen aus. Überschriften wie »Schämt euch, ihr Gutachter!« bewirken in der öffentlichen Meinung viel mehr als alle sachlichen Informationskampagnen.
Vielleicht sollte man dazu aber wissen, wie die Arbeitswirklichkeit der Boulevardjournalisten aussieht. Sie stehen unter massivem Druck, täglich irgendwelche möglichst sensationellen Geschichten zu liefern. Diese Geschichten sollen einerseits die Leser emotionalisieren und ihnen andererseits den Eindruck vermitteln, ganz aktuell informiert zu sein.
Die ehemalige Boulevardjournalistin Kerstin Dombrowski gibt in ihrem Buch »Titten, Tiere, Tränen, Tote« Einblicke in den Arbeitsalltag von Boulevardjournalisten. Diese seien täglich auf der Jagd nach sensationellen Themen und arbeiteten dabei nach der Regel: »Haste keins, erfinde eins.«
Es ist extrem schwer, mit sachlichen, faktenorientierten Informationen gegen emotionalisierende Meinungsmache anzukommen. Dies beschreibt auch Kerstin Dombrowski aus ihrer Erfahrung: Das Gefühl nimmt man mit, auch wenn man nicht alles Wort für Wort glaubt. Man ist in jedem Fall emotional berührt.«
Die vielen Vorurteile und Fehlinformationen, die durch eine solche Berichterstattung genährt werden, haben
Weitere Kostenlose Bücher