Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
männlicher Sexualstraftäter ab dem achtzehnten Lebensjahr ermitteln forensische Psychiater und Psychologen unter anderem auch mithilfe des »Static-99«-Testverfahrens. Es wird vor allem in den USA häufig benutzt. Zehn Merkmale des Straftäters werden dabei mit Punkten bewertet. Zu diesen Merkmalen gehört beispielsweise, ob er vorbestraft ist, ob er schon früher Sexualstraftaten begangen hat (und falls ja, welche), ob er dazu neigt, gewalttätig zu werden, und ob er sich fremde Opfer gesucht hat.
Aus der Gesamtpunktzahl des Täters wird mithilfe einer zum Test gehörigen Tabelle abgeleitet, wie groß das Rückfall-Risiko in Prozent ist, bzw. ob es als »gering«, »eher gering«, »eher hoch« oder »hoch« anzusehen ist.
Wenn der forensische Psychologe oder Psychiater einschätzt, wie gefährlich ein Straftäter ist, berücksichtigt er all diese Informationen – Akten, Gespräche, Tabellen und Testverfahren. Er trifft seine Entscheidung, ob ein Rückfall eher wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist, also nicht – wie viele Menschen leider bis heute glauben – aus dem Bauch heraus.
Die Rückfall-Wahrscheinlichkeit und ihre Auswirkungen
Nicht nur für die Entscheidung, ob ein Straftäter nach der Haft in »Sicherungsverwahrung« kommt, ist die Einschätzung seiner Rückfall-Wahrscheinlichkeit sehr wichtig. (Wird ein Straftäter dauerhaft als stark rückfallgefährdet eingestuft, kann dies bewirken, dass er in Sicherungsverwahrung kommt, d.h. er bleibt gegebenenfalls für den Rest seines Lebens eingesperrt. Dies ist für die insgesamt kleine Gruppe von Straftätern, die bis heute als »untherapierbar« gelten, auch notwendig.)
Doch bei sehr vielen Straftätern kann die Rückfall-Wahrscheinlichkeit durch Therapie-Programme deutlich gesenkt werden. Voraussetzung ist, dass ein Straftäter das Therapieangebot wirklich nutzt, also lange, aktiv und offen an sich arbeitet. Tut er dies nicht, kann er aus einem Therapieprogramm im Gefängnis (beispielsweise in einer Sozialtherapeutischen Anstalt) ausgeschlossen werden – wenn er die Therapie nicht selbst abbricht.
Besonders bei schweren Straftätern, die in Haft therapiert werden, wird die aktuelle Rückfall-Wahrscheinlichkeit immer wieder neu eingeschätzt. Je nachdem, zu welchem Zweck dies getan wird, führt die Einschätzung ein forensischer Gutachter oder der Therapeut durch. In jedem Fall aber sind neben den persönlichen Gesprächen mit dem Straftäter seine Akten einerseits und die wissenschaftlichen Tabellen und Tests andererseits die wesentlichen »Stützpfeiler« dieser Einschätzung.
Gutachter von außerhalb werden beispielsweise manchmal für »Entlassungsprognosen« bestellt. Sie sollen also einschätzen: »Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser Straftäter nach seiner Entlassung rückfällig wird?« In diesem Fall führt der Gutachter oft mehrere längere Gespräche mit dem Täter, den er dafür im Gefängnis aufsucht.
Der Therapeut des Straftäters schätzt dessen Rückfall-Risiko ebenfalls ein. Er berücksichtigt dabei zusätzlich zu den Akten-Informationen seine Einschätzung, wie der Straftäter sich bisher in der Therapie und im Gefängnisalltag verhalten und entwickelt hat. Dies muss ein Therapeut beispielsweise tun, wenn er eine »Lockerungsprognose« verfasst. Diese Prognose beeinflusst maßgeblich, ob die therapeutische Leitung für einen Straftäter eine »Vollzugslockerung« anordnet. Aufgrund einer solchen Lockerung darf der Straftäter das Gefängnis für begrenzte Zeit und unter bestimmten Bedingungen verlassen.
Diese Vollzugslockerungen werden nicht einfach aus Nettigkeit durchgeführt. Sie dienen einerseits als vorsichtige Tests dafür, wie ein Straftäter sich nach längerer Haft außerhalb des Gefängnisses verhält. Solche Straftäter müssen erst langsam wieder lernen, in »der Welt draußen« klarzukommen. Sie müssen sich daran gewöhnen, wie es ist, einzukaufen, Behörden und Ärzte aufzusuchen, unter anderen Menschen zu sein. Aus diesen Gründen gibt es unterschiedliche Vollzugslockerungen, die ein Straftäter nacheinander erhalten kann.
Die ersten Lockerungen werden »Ausführung« genannt. Dabei darf der Straftäter, von einem Vollzugsbediensteten begleitet, für einige Stunden das Gefängnis verlassen. In dieser Zeit kann er beispielsweise einen Arzttermin wahrnehmen, Kleidung einkaufen oder seine Angehörigen besuchen. Sind einige solcher Ausführungen ohne Zwischenfälle verlaufen und ist der Straftäter auch im
Weitere Kostenlose Bücher