Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Gefängnis nicht negativ aufgefallen, dann erhält er irgendwann »Ausgang«. Dabei darf er für mehrere vorher festgelegte Stunden das Gefängnis ohne Aufsicht verlassen. Wenn auch mehrere Ausgänge ohne Zwischenfall verlaufen sind, kann der Straftäter irgendwann »Hafturlaub« beantragen. Dabei darf er in festgelegten Zeiträumen und an festgelegten Orten einen oder mehrere Tage außerhalb des Gefängnisses verbringen und auch außerhalb übernachten. Straftäter bekommen höchstens einundzwanzig Hafturlaubstage im Jahr.
Fehlannahme 3:
Mindestens ein schwerer Straftäter flüchtet während einer Gruppenausführung und wird damit zu einer Gefahr für die Allgemeinheit.
Wir sind voller Angst,
allerdings vor den falschen Problemen.
(Hoimar von Ditfurth)
Die Fakten über den geplanten Bootsausflug haben den Verfasser des genannten »Briefes« offenbar keinen Deut interessiert: Zwölf Sicherungsverwahrte sollten an einem Montagvormittag, von immerhin neun Justizvollzugsbediensteten begleitet, eine »Gruppenausführung« machen. Dabei sollte im nicht weit vom Gefängnis Madel gelegenen Magdeburg eine Schiffstour auf der Elbe gemacht werden. Diese Gruppenausführung hatte denselben Zweck wie alle Lockerungsmaßnahmen: Die Gefangenen sollten langsam an das Leben außerhalb des Gefängnisses herangeführt werden.
Denn auch Sicherungsverwahrte sind nicht untherapierbar. Daher sollen sie prinzipiell die Möglichkeit haben, irgendwann wieder in Freiheit leben zu können – natürlich nur, wenn sie sich so weit verändert haben, dass von ihnen keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit ausgeht. In solchen Fällen ist für den zuständigen Richter die Einschätzung des Täters durch Sachverständige wichtig. Deren Beurteilung der Rückfall-Wahrscheinlichkeit ist wichtig für seine Entscheidung.
Gefängnisse, die Lockerungsmaßnahmen wie die besagte Gruppenausführung für Sicherungsverwahrte planen, setzen genau das um, wozu sie laut »Paragraph 129 – Ziel der Unterbringung« des Deutschen Strafvollzugsgesetzes verpflichtet sind: »Der Sicherungsverwahrte wird zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht. Ihm soll geholfen werden, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.«
Die »Bootstour« wäre die dritte Gruppenausführung gewesen, welche die Justizvollzugsanstalt in Burg-Madel plante. Im halben Jahr zuvor gab es bereits eine entsprechende Ausführung in ein Tierheim und eine andere in ein Kino. Dabei ereigneten sich keine Zwischenfälle. Viele Menschen gehen von der irrigen Annahme aus, dass ein Straftäter, sobald er einen Fuß außerhalb der Gefängnismauern setzt, jede Gelegenheit zur Flucht nutzt. In Wirklichkeit passiert dies nur extrem selten.
Eine Statistik aus dem bayerischen Justizvollzug zeigt: Im Jahr 2000 wurden von allen bewilligten Fällen, in denen Straftäter für mehrere Stunden alleine das Gefängnis verlassen durften, nur 0,22 % für einen Fluchtversuch missbraucht. Verdeutlichen Sie sich diese Zahl: Es ist ein Fünftel von einem Prozent. Und in dieser Zahl sind alle Arten von Straftätern berücksichtigt, also beispielsweise auch Diebe und Betrüger.
Auch die Sicherungsverwahrten von Madel wären wohl kaum geflohen. Jeder Fluchtversuch verringert die Chance, je aus der Sicherungsverwahrung entlassen zu werden, drastisch. Außerdem ist es heutzutage in Deutschland für einen schweren Straftäter praktisch unmöglich, längere Zeit geschweige denn dauerhaft unterzutauchen. Somit hält schon die reine »Kosten-Nutzen-Rechnung« viele Gefangene davon ab, einen Fluchtversuch zu wagen. Bei einem Verhältnis von neun speziell ausgebildeten Aufsichtspersonen zu zwölf Gefangenen – wie im Beispiel des geplanten »Bootsausfluges« – wäre eine solche Aktion für den einzelnen Gefangenen ohnehin ziemlich aussichtslos gewesen.
Der Unterschied zwischen gefühlter und echter Gefahr
Nur in Ausnahmefällen begehen Straftäter während einer Lockerung irgendein schweres Verbrechen. Die Sozialtherapeutische Anstalt, in der ich mitarbeite, liegt in einem dicht besiedelten Gebiet. Keiner der Täter, die dort wegen Sexualverbrechen oder Tötungsdelikten inhaftiert sind – teilweise als Sicherungsverwahrte –, ist jemals während einer Lockerung rückfällig geworden.
Es ist gut möglich, dass Sie solchen Straftätern schon in der Fußgängerzone oder beim Arzt begegnet sind, ohne es zu wissen. Die meisten Menschen glauben, gerade schwere Straftäter müssten wie wild gewordene Bestien aussehen und
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