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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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zusammen: »Du sagst also, du könntest problemlos jemanden töten, aber du hast keine Motivation dazu?« »Genau.«
    Als wir uns schon eine Weile kannten, bat ich Alexander, mir zwei Ereignisse aus seiner Jugend aufzuschreiben. Es sollten Situationen sein, in denen ihm besonders auffiel, dass er gefühlsmäßig anders funktioniert als andere Menschen. Er wählte als Beispiele eine Beerdigung in seiner Familie und einen Discoabend mit Freunden.
Beerdigungen – Trauer zeigen, wo keine ist
    Vor einigen Jahren verstarb mein Onkel väterlicherseits. Ich habe es meistens erfolgreich geschafft, mich vor Beerdigungen zu drücken, in diesem besondern Fall jedoch hatte ich keinerlei gute Ausreden, Schulferien und eine Distanz von nicht einmal zwanzig Kilometern. Beerdigungen sind eine der wenigen sozialen Angelegenheiten, wo offene Emotionalität erwünscht ist. Die Problematik dabei ist, man wird seltsam angesehen, wenn man keinerlei Emotionen zeigt.
    Gegen 11 Uhr haben wir uns vor dem Friedhof getroffen, meine Tante, verheiratet mit dem jetzt verstorbenen Onkel, war völlig aufgelöst. Ebenso war meine halbe Verwandtschaft schon in Tränen aufgelöst, bevor wir den Friedhof überhaupt betreten hatten. Ich versuchte mich im Hintergrund zu halten, dummerweise war die Beerdigung im Winter, wodurch das Tragen von Sonnenbrillen sehr ungünstig war.
    Bei solchen Veranstaltungen achte ich immer darauf, mich im Hintergrund und das Gesicht gesenkt zu halten. Wir betraten dann gemeinsam den Friedhof, der Weg war relativ kurz, ich ging als Letzter auf den Friedhof, ganz am Ende der Schlange, das Gesicht gesenkt und auf den Boden blickend. Die Schlange vor mir, bestehend aus meinen engsten Verwandten, und ich empfinde nichts. Alle trauern, aber ich kann das nicht nachvollziehen.
    Ich finde die Beerdigung langweilig. Alle sitzen schweigend und trauernd in einer Kirche und hören sich an, was ein Pastor, der die Person nicht oder nur kaum kennt, über deren Leben zu sagen hat. Die Prozession erreicht das Gebäude, die Familie, Freunde, Bekannte und Verwandte setzen sich gemeinsam vor die Urne. Ich versuche mich weiterhin im Hintergrund zu halten. Glücklicherweise sind alle zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig zu demonstrieren, wie stark sie um den Verstorbenen trauern, um darauf zu achten, ob irgendjemand nicht trauert.
    Der Pastor beginnt mit der Rede und hangelt sich an dem Lebenslauf entlang, den irgendjemand ihm vorher gegeben hat. Ich persönlich bin erstaunt, wie wenig ich den Toten kannte. Wir haben uns auf Familienfeiern getroffen, haben ein paar Mal zusammen angestoßen, und er hat sich nach der Schule und meinen Hobbys erkundigt. Ich habe ihm Fragen über seine Zierfische und sein Joggen gestellt. Dabei habe ich wohl verpasst, ihn nach seiner Jugend oder seinem Erwachsenenleben zu fragen. Auf diese Weise gewinnt das Ganze an Unterhaltungswert.
    Nach kurzer Zeit beendet der Pastor jedoch diesen Teil und kommt auf religiöse Fragen zu sprechen. Ich beneide Gläubige um ihren Glauben, es muss wundervoll sein, in der Gewissheit zu leben, dass es mehr gibt als das, was wir wahrnehmen können. Ich kann das nicht. Daher ist der nun folgende vom Pastor vorgetragene Teil für mich nur mäßig interessant. Ich versuche in der letzten Reihe möglichst wenig auffällig zu sein. Beobachte die Menschen um mich herum, um meine Darstellung der Trauer möglichst gut an ihr Verhalten anzupassen.
    Der Pastor nähert sich dem Ende, und dann kommt der ungemütliche Teil, alle werden aufstehen und das Gebäude verlassen. Dabei werden sie sich gegenseitig ihre Trauer mitteilen und betonen, wie sehr sie darunter leiden. Da das offensichtlich das normale Prozedere ist, beginne ich während der Rede, mir jemanden zu suchen, dem ich mein tiefes Leiden mitteilen kann. Ich entscheide mich für Oma, sie ist schon leicht schwerhörig und trauert selbst tief. Ich denke, die Chancen stehen gut, dass sie nicht mitbekommt, was ich wirklich empfinde.
    Als wir nach der Rede des Pastors der Urne folgen, um diese in die Erde abzusenken, versichere ich meiner Oma, wie sehr ich trauere. Die Urne landet unter der Erde, und ein Bestattungsmitarbeiter schaufelt ein wenig Erde darauf. Er guckt dabei steinern, das Ganze wirkt sehr feierlich. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass ich seit etwa fünfundvierzig Minuten hier bin, vermutlich ist das Ganze also in etwa fünfzehn Minuten gelaufen.
    Anschließend reihen sich die Verwandten auf und lassen sich von allen

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