Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
dieser Situation sehr schwer, mein Verhalten anzupassen. Das Ganze wird natürlich erschwert, wenn man die Menschen nicht kennt, die einen umgeben, und daher ihre Reaktionen kaum vorhersagen kann.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir: Meine halbe Stunde ist um, ich habe die abgesprochene Zeit eingehalten. Suche meine Freunde auf. Entschuldige mich damit, ich hätte Stress mit einem Typen gehabt. Ich wolle abhauen, bevor der mich zusammen mit seinen Freunden findet.
22:35 Uhr: Ich stehe draußen auf dem Parkplatz der Disco, genieße die Stille und das Gefühl, wieder alles unter Kontrolle zu haben.
Gespräche auf der Grenzlinie
– Interviews mit nicht-kriminellen Psychopathen
Ich habe das Glück, in meinem Leben sehr vielen Menschen mit ungewöhnlichen – öfter auch »psychopathischen« – Eigenschaften begegnet zu sein. Alexander war einer davon. Was er mir in langen Gesprächen über sich erzählte, fand ich sehr interessant. Außerdem fiel mir auf, dass einiges, was er berichtete, auch auf andere Menschen zutraf, die sich aus unterschiedlichen Gründen und Situationen heraus irgendwann offen mit mir über ihr Leben unterhalten hatten.
Ungewöhnliche Lebensgeschichten und Persönlichkeiten vergesse ich nie. Aussehen und Gesichter kann ich mir nie merken, doch was mir Menschen über sich erzählen, bleibt mir im Gedächtnis. Deshalb kamen mir direkt einige Personen in den Sinn, an die mich Alexander erinnerte und die ich offen auf meine Idee ansprechen konnte. Ich nahm Kontakt mit ihnen auf und fragte sie, ob ich einen Persönlichkeitstest mit ihnen durchführen dürfe. Fast alle stimmten zu, und so stufte ich sie mithilfe der Psychopathie-Checkliste ein.
Alle, die laut dieser Checkliste zwischen 50 und 74 % der psychopathischen Merkmale erfüllten, lud ich zu weiteren Gesprächen ein. Normale Menschen erfüllen höchstens 10 % dieser Merkmale. Meine Interviewpartner, die in die Kategorie »mittelgradige Psychopathen« fallen, haben also deutlich mehr psychopathische Eigenschaften als normale Menschen. Keiner von ihnen hat aber so viele wie »stark ausgeprägte« Psychopathen. Diese begehen deutlich öfter Straftaten. Meine mittelgradig psychopathischen Interviewpartner waren jedoch alle nicht vorbestraft.
Einige Interviewpartner stimmten zu, dass ich Auszüge unserer Gespräche in diesem Buch verwenden darf. Meine Frage, ob ich auch umfangreiche Teile ihrer Person in diesem Buch darstellen dürfte, bejahte neben Alexander auch mein Interwiewpartner Christian. Sie kennen einander nicht. Ich verglich ihre Aussagen und stellte interessante Übereinstimmungen fest.
Die beiden fühlen, denken und handeln in vielen Bereichen anders als normale Menschen. Dass sie »anders« sind, war beiden schon früh klar, doch sie hatten lange keine Bezeichnung für dieses »Anderssein«.
Wegen ihrer psychopathischen Eigenschaften würde es beiden wesentlich leichter als normalen Zeitgenossen fallen, Straftaten zu begehen und sogar Menschen zu töten – was beide auch so sagen. Doch sie haben ihren eigenen Weg gefunden, mit ihrer »Besonderheit« zu leben, ohne kriminell zu werden. So betonen beide, dass die Aussicht auf eine Gefängnisstrafe ihnen als »hoher Preis« erscheint, sollten sie eine Straftat begehen. Diese müsste schon einen »Nutzen« bringen, der höher ist. Den sehen beide jedoch nicht, da sie auch ohne kriminelle Delikte ein annehmliches Leben führen. Außerdem sind sie erfolgreich, und damit bewegt sich auch ihr Selbstwertgefühl im grünen Bereich.
Alexander und Christian fallen genau in jene Grauzone, die sich zwischen normalen Menschen und kriminellen Psychopathen auftut. Das Eis, auf dem sie stehen, ist dünn. Fragen Sie sich selbst, wie die beiden auf Sie wirken. Natürlich wissen die meisten Menschen in ihrem Umfeld nicht, wie sehr sie sich von ihnen unterscheiden. Ähnlich Dexter schaffen es beide, ihre besonderen Persönlichkeitseigenschaften vor den Mitmenschen zu verbergen.
Christian – Der nette Psychopath von nebenan
So schwarz wie die Nacht nur sein kann,
alles ist nun sicherer.
Es gibt immer einen Weg um zu vergessen,
wenn du erst gelernt hast, wie es geht.
(I’m Looking Forward To Joining You, Finally – Nine Inch Nails)
Die meisten Menschen finden Christian sympathisch. Er lächelt viel und spricht stets in ruhigem, freundlichem Ton. Was er sagt, klingt vernünftig und überlegt. Meist wirkt er auf andere Menschen nicht arrogant, eher sehr gefestigt und auf eine gelassene Art
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