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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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fällt auf Wodka pur, schließlich trinke ich ja nicht zum Spaß, sondern um endlich den gewünschten Effekt zu erzielen. Danach begebe ich mich auf die Tanzfläche. Ich finde dabei erstaunlich, wie selbstverständlich es für alle Menschen ist, die Signale zu verstehen, die sie aussenden. Wenn ich herausfinden will, wie andere Personen sich gerade fühlen, dann muss ich auf die Körpersprache achten, am besten dazu noch genau auf die Mimik und auf das, was sie sagen. In Diskotheken, wo die Sprache entfällt, werden solche Interpretationen schwer.
    Entgegen meiner Hoffnung, durch Alkoholkonsum normaler zu werden, ist der einzige erzielte Effekt, dass ich geistig deutlich langsamer und unkoordinierter werde. Dadurch wird meine Interpretation langsamer und deutlich ungenauer. Etwa drei Minuten lang bin ich auf der Tanzfläche. Ich versuche, die Bewegungen der Menschen um mich herum zu kopieren und dabei möglichst »Spaß« zu empfinden oder diesen möglichst gut zu simulieren. Da spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, die mich von der Tanzfläche zieht.
    Mir gegenüber steht ein Mitbürger mit Migrationshintergrund, in Baggy-Hose, drei Goldketten um den Hals, kurz geschorene Haare und von der Statur eines klassischen Pumpers. Auch mit meiner verlangsamten Wahrnehmung wird mir klar, dass irgendetwas sein Missfallen erregt hat. »Altah was starrste meine Biatch so an, willste Stress?!« Ich übersetze sein Deutsch auf ungefähr diesen Satz und wiege kurz Pro und Contra einer Konfrontation ab:
Pro:
    1. Ich wäre aus der Disco raus.
    2. Ich hätte möglicherweise Hausverbot, was dazu führen würde, dass ich IMMER eine passende Ausrede hätte, nicht mehr hierherzukommen.
Contra:
    1. Schmerzen.
    2. Sehr viel Aufmerksamkeit.
    3. Etwaige mit den Schmerzen verbundene Folgen wie Brüche oder dergleichen.
    Schnell entschließe ich mich, soweit mir möglich, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Ich versuche es mit einer Entschuldigung. Das erscheint mir sinnvoll, da ich in seinen Augen ja definitiv gegen eine unausgesprochene Regel verstoßen habe. Die Entschuldigung kombiniere ich mit einer Erklärung, warum ich seine »Biatch« angeschaut hatte. Dabei versuche ich möglichst, seinen Sprachjargon zu übernehmen, um Sympathie zu wecken.
    »Altah, sorry, ich hab deine Biatch nur angeschaut, weil ich dachte, sie wäre in meiner Parallelklasse.« Das Verzerren seines Gesichts deutet darauf hin, dass ich offensichtlich nicht das Recht habe, seine »Biatch« eine »Biatch« zu nennen. Vielleicht empfindet er es auch als beleidigend, dass ich annehme, seine »Biatch« würde zur Schule gehen.
    Ich beginne also weitere Optionen abzuwägen, wie einfach aus der Situation zu fliehen oder ihn mit einem Getränk zu bestechen. In vielen Situationen nutze ich ein Set von Verhaltensregeln. Wenn ich mich in einer neuen Situation offensichtlich falsch verhalte, versuche ich, mein Verhaltensrepertoire anzugleichen und mich anzupassen.
    Da mir diese Situation in diesem Kontext völlig neu ist, habe ich keine Idee, welches Verhalten jetzt von mir erwartet wird. Ich beschließe, aus der Situation zu verschwinden, drehe mich einfach um und lasse ihn stehen. Er scheint nicht gewillt, mir mein Verhalten durchgehen zu lassen, und packt mich am Arm. Da Kommunikation nicht mehr angebracht erscheint, greife ich nach seinem Handgelenk und drehe es mit einem Ruck herum. Offenbar habe ich damit wieder eine Verhaltensregel gebrochen, da er darauf nicht vorbereitet gewesen zu sein scheint.
    Er hat nicht damit gerechnet, dass ich mit Kampfsport Erfahrung habe. Eigentlich bin ich auf folgende weiteren Schritte vorbereitet: Da er meinen rechten Arm gegriffen hat, werde ich ihn mit dem linken Ellenbogen ins Gesicht treffen, sein Handgelenk loslassen und mich umdrehen. Er wird zurücktaumeln, sich vermutlich mit einer Hand das Gesicht halten. Ich werde nachsetzen, Schläge auf den ungedeckten Solarplexus.
    Nichts davon passiert. Er lässt mich los, murmelt etwas, was ich aufgrund der Musik nicht verstehe, und verschwindet. Das geht meistens in mir vor, wenn ich mit Menschen zu tun habe: Ich spiele eine Situation wieder und wieder in meinem Kopf durch, erwäge alle möglichen Ausgänge und entscheide mich dann für einen. Normale Menschen tun das nicht – denke ich –, sie handeln intuitiver. Daher können sie einfach tanzen und einen Discoabend genießen. Bei zweihundert Menschen ist es kaum möglich, alle Möglichkeiten zu kalkulieren. Daher ist es in

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