Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Nicken, worauf ich fragte: »Hast du das Gefühl, dass sie dich nicht verstehen?« Ein weiteres Nicken, von einem überraschten Blick begleitet, also fuhr ich fort: »Du hast das Gefühl, dass du irgendwie anders bist als die anderen, richtig?«, worauf ein letztes, von schüchternem Lächeln begleitetes Nicken folgte. Dann sagte ich lächelnd: »Mark und ich waren in deinem Alter genauso. Wenn du älter bist, kannst du deine Besonderheiten für etwas Gutes einsetzen. Etwas, das dir Spaß macht und in dem du gut sein wirst. Also mach dir nicht zu viel daraus, dass die anderen dich nicht verstehen.« Die Jugendlichen, mit denen ich solche Gespräche führte, gingen mit einem guten Gefühl nach Hause.
Alexander – Ein psychopathischer Psychologe
Im Schleier der Gelassenheit,
wo ist alles verloren gegangen?
Die Blumen der Naivität,
begraben unter einer Schicht aus Frost.
(I’m Looking Forward To Joining You, Finally – Nine Inch Nails)
Eine der angenehmsten Seiten an meinem »Berufsmodell« sind die vielen interessanten menschlichen Begegnungen. Einige davon ergeben sich durch die Kriminalpsychologie-Kurse, die ich in meiner Praxis in Köln anbiete. Dorthin kommen einerseits sehr viele Studenten, die sich überlegen, ob eine berufliche Laufbahn im forensischen Bereich für sie interessant ist. Andererseits sind unter den Kursteilnehmern auch immer wieder Menschen, die ungewöhnliche Lebensgeschichten und ungewöhnliche Persönlichkeitseigenschaften haben. Einige von ihnen sind Gothics – in Deutschland besser bekannt als »Gruftis« – oder BDSMler – besser bekannt als Sadomasochisten. Besonders Vertreter dieser Subkulturen finden es interessant, mit mir im Anschluss an die Kurse offen reden zu können, weil ich mich mit beiden Gruppen sehr gut auskenne.
Manchmal nehmen auch Menschen einfach über E-Mail Kontakt mit mir auf, die noch wesentlich mehr von den »Durchschnittsmenschen« unserer Gesellschaft unterscheidet. Einer davon war Alexander; ein Psychologe, der mich zunächst wegen eines Austausches über fachliche Themen anschrieb. Er war über das Buch »Aus der Dunkelkammer des Bösen« auf mich aufmerksam geworden. Schnell fand er heraus, dass zwei Themen, mit denen ich mich bevorzugt beschäftige, die Psychopathie und die Borderline-Störung sind.
Das erste, was ich von Alexander erfuhr, war, dass er über diese Persönlichkeitsstörung sehr viel wusste. Borderliner haben unter anderem häufige Stimmungsschwankungen und erleben manche Gefühle überraschend plötzlich, stark und lang anhaltend. Bald teilte Alexander mir mit, dass er sich nicht nur aus beruflichen Gründen mit Borderline beschäftigt, sondern auch weil er seit Jahren in einer festen Beziehung mit einer Borderlinerin lebt. Das fand ich sehr interessant, weil es eine der Störungen ist, an der Partnerschaften oft zerbrechen. Von E-Mails über dieses Thema kamen wir auf andere psychologische Bereiche. Irgendwann hatte Alexander einen beruflichen Termin in Köln, den wir zum Anlass nahmen, uns zum Gespräch unter Kollegen bei einem Abendessen in einem Restaurant zu treffen.
Während wir uns unterhielten, fiel mir auf, dass mein Berufskollege zwar sehr freundlich, aber auch irgendwie sachlicher und kühler wirkte als viele andere Menschen. Alexanders Art zu sprechen war – für mich angenehm – logisch und emotionslos. Auch seine Mimik war, egal um welche Themen es ging, stets außergewöhnlich entspannt. Irgendwann kam er auf die Fernsehserie »Dexter« zu sprechen. »Dexter« gibt interessanterweise auch der erwachsene Sohn des psychopathischen Serienmörders Richard Kuklinski in seinem Facebook-Profil als eine seiner Lieblingsserien an. Da ich nicht fernsehe und die Serie damals nicht kannte, ließ ich mir von Alexander davon berichten, was er daran interessant findet.
Wir unterhielten uns recht leise, mitten in einem lauten, vollen arabischen Restaurant. Alexander erzählte mir, dass die Figur Dexter einen Psychopathen darstellen soll. In der Serie wird dies darauf zurückgeführt, dass Dexter als kleines Kind mit ansieht, wie seine Mutter mit einer Kettensäge getötet und zerstückelt wird. Der Polizist Harry findet den Jungen am Tatort, neben der Leiche seiner Mutter, und adoptiert ihn. So wächst Dexter in einer netten, normalen, liebevollen Familie auf. Doch er entwickelt nie normale Gefühle. Dexter denkt, beobachtet und analysiert viel, fühlt aber so gut wie nichts.
Sein Adoptivvater bemerkt früh, was mit Dexter los
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