Auf Dunklen Schwingen Drachen1
Peitschenschranke über die Straße, gezogen von dickbäuchigen, krallenlosen Drachenweibchen, die kurz davor waren, Brutdrachen zu werden. Diese Drachen waren bis zur Schulter mehr als einen Meter fünfzig hoch und mehr als doppelt so lang. Ihre Schuppenhaut wies die Farbe von bemoostem Rotholz auf, nur an der Unterseite ihres Halses nicht, wo die blaugrauen Halslappen herunterhingen. Ihre knochigen Schwänze zuckten hin und her, und die rautenförmige Membran am Ende war rostbraun. Diese Drachen hatten keine Schwingen mehr, da sie ihnen gleich nach dem Schlüpfen amputiert worden waren. Zitronengelbe Narben an den Seiten ihrer Körper markierten die Stellen, wo man ihnen mit einem Heiligen Messer das Flügelgewebe abgetrennt hatte.
Der Staub legte sich allmählich wieder. Die Menge drängte erneut vor, die Hände ausgestreckt. Die Frauen von Re trugen prächtig glitzernde Kleider, die an einem solchen Tag sicher viel zu heiß waren, und fingen an, Stofffetzen, Paddams, in die Menge zu werfen. Die bunten, aus alten, zerschnittenen Mombe-Taro-Gewändern gefertigten und um gezuckerte Nüsse geknoteten Bänder regneten in die Menge. Zitronengrünes Leinen, blaue Gaze, rote Seide … Allesamt Schätze! Ich stieß und kämpfte wie die anderen Kinder, um so viele zu sammeln, wie ich nur konnte.
Als die Kutschen das Ende der langen Straße der Geißelung erreicht hatten, blähten sich meine Wangen von gezuckerten Nüssen, und mit meinen schmutzigen Fäusten umklammerte ich triumphierend nicht weniger als vier Bänder schönster Seide.
Waisi und ich verglichen unsere Schätze.
Ich gaffte sie ungläubig an. Neun! Sie hatte neun Paddams, und eines hatte sogar einen golddurchwirkten Saum. Dass jemand freiwillig ein Gewand aus einem solchen Stoff zerschnitt und dass ausgerechnet Waisi das Glück hatte, einen Paddam davon zu ergattern, kam mir wie der Gipfel der Ungerechtigkeit vor. Schmollend weigerte ich mich, auch nur einen von meinen einzutauschen, obwohl Dono einen türkisfarbenen erwischt hatte, der mir gefiel, und einer der Zwillinge zwei grüne Seidenpaddams hatte, von denen sie einen gegen einen meiner roten tauschen wollte.
Ich war so verärgert über mein Pech, dass ich nicht sonderlich auf den Beginn der Zeremonie achtete. Ich merkte jedoch an dem blutrünstigen Gebrüll der Menge, wie Kriegerfürst Re die Geißelung begann. Handschuhe schützten seine Hände vor dem Gift auf seiner Peitsche. Seine Söhne, Brüder und Onkel taten es ihm gleich, schritten theatralisch über die Straße und ließen sich Zeit, bevor sie den Schüler auswählten, den sie auspeitschen wollten. Sie stellten sich hinter den Ausgewählten und provozierten die Menge, bis die ihre Zustimmung herausbrüllte; so lange, bis dem armen Schüler die Knie zitterten und er sich danach sehnte, dass die Peitsche endlich knallte, alles, Hauptsache, diese verfluchte Erwartung der Hiebe hörte endlich auf. Achtmal würden sie zuschlagen, acht Hiebe.
Ich achtete nicht darauf. Ich sah nur Waisis neun Paddams und meine eigenen armseligen vier. Und dazu würde sie auch noch eine Peitsche schwingen können, falls Dono schnell genug war, um ihr eine zu sichern.
Plötzlich drängte sich mir eine Frage auf … Warum hatte mein alter Spielkamerad meiner Schwester eine Peitsche versprochen? Ja, warum eigentlich?
Die Wahrheit sollte ich erst später erfahren. Waisi hatte Dono versprochen, ihm vor den Augen seiner jugendlichen Gefährten sexuell zu Diensten zu sein, falls er ihr eine Peitsche besorgte. Und Dono, der unbedingt den Respekt seiner männlichen Gefährten erringen und die doppelte Schande der Jungfräulichkeit und der Mischlingsherkunft abschütteln wollte, hatte damit geprahlt, dass diese sexuellen Dienste bereits so gut wie sicher wären. Waisi hatte kein Interesse an Dono, schließlich war er gerade halb so alt wie sie. Aber eine Peitsche wollte sie, und in den letzten beiden Jahren hatte Dono eine vom Drachenmeister ergattert. Damit hatte er sich und unserem Clan viel Respekt verdient, weil er einer der wenigen Rishi-Clans war, die einen gekürten Jungen in die Lehrherrschaft des Drachenmeisters geben konnten.
Warum meine Schwester ein so großes Interesse hatte, eine Peitsche zu ergattern? Ganz einfach. Sie war eine reife Frucht, die entschlossen war, sich von einem Aristokraten pflücken zu lassen. Ihre einzige Chance jedoch, die Aufmerksamkeit eines der Bayen zu gewinnen, war beim Mombe Taro, wo sich Leibeigene und Aristokraten mischten.
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