Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
Sozialdemokraten gar nicht wehtun. Aber es ist doch Fleisch von Ihrem Fleische.
Ich habe den Herrn Lafontaine nie als Fleisch von meinem Fleische empfunden, ich kenne den seit über dreißig Jahren. Es ist bei unserem Wahlrecht normal, dass es linksextreme und rechtsextreme Parteien gibt.
Glauben Sie, dass die SPD mit der Linken einmal koalieren wird? Fänden Sie das schlimm?
Die Frage ist, ob es die Links-Partei noch ein paar Jahrzehnte geben wird. Davon bin ich gar nicht überzeugt.
21. Februar 2008
[ Inhalt ]
Die Sehnsucht nach Machern
Über Politiker und Charisma
Lieber Herr Schmidt, wenn es so kommt, wie wir alle befürchten, dann wird Silvio Berlusconi in Italien ein drittes Mal an die Macht kommen. Wie können Demokratien auf so einen verfallen?
Ich kann nur vermuten, warum der Mann fasziniert: erstens, als einer der reichsten und einflussreichsten Unternehmer in Italien. Zweitens, weil er für einen Teil der weiblichen Wählerschaft Sex-Appeal hat. Drittens, weil ein großer Teil der italienischen Wähler die Nase voll hat von einer langen Reihe von Parteien und Politikern. Er verspricht etwas, und manche Leute sind geneigt, sich von Versprechungen leiten zu lassen. Das war bei Mussolini und Hitler nicht anders. Es hat aber auch demokratische Politiker gegeben, die Versprechen gemacht – und nicht gehalten haben.
Sie halten Demokratien im Prinzip immer für gefährdet?
Natürlich sind Demokratien anfällig für Gefahren. Sie sind kein Idealzustand des Staates, aber sie haben einen ganz großen Vorteil: Man kann seine Regierung ohne Blutvergießen auswechseln.
In Frankreich regiert ein Nicolas Sarkozy, der imMoment vor allem Schlagzeilen mit seiner neuen Frau macht. Lesen Sie so was?
Habe ich zur Kenntnis genommen.
Verkörpert Sarkozy wie Berlusconi einen neuen Politiker-Typus, der in Demokratien zuvor unvorstellbar gewesen ist?
Das könnte sein. Immerhin kam Sarkozy erst ein paar Jahre nach den ersten Auftritten Berlusconis. Allerdings gibt die von Charles de Gaulle geschaffene französische Verfassung dem Präsidenten ein viel größeres Handlungsfeld, als es etwa der italienische Ministerpräsident hat.
Berlusconi hat Gesetze ändern lassen, sodass sie ihm, seinen Unternehmen und Leuten zum Vorteil gereichten. Sind das bereits postdemokratische Attitüden?
Unsympathische Züge, ja; aber postdemokratisch würde ich das nicht nennen, denn er hatte dafür Mehrheiten im Parlament.
Sarkozy und Berlusconi kommen in jedem Fall der Sehnsucht vieler Menschen entgegen nach Politikern, die nicht lange debattieren und keine Kompromisse schließen – also alles unterlassen, was Demokratien gemeinhin verkörpern.
Eine Sehnsucht nach tatkräftigen Machern mag es in jeder Gesellschaft immer wieder geben, gegenwärtig spielt sie offensichtlich in Italien eine Rolle. Sie hat wahrscheinlich bei der Wahl Sarkozys auch eine Rolle gespielt. Wie die Stimmung bei der nächsten Wahl aussehen wird, kann man nicht vorhersehen.
Nun haben auch Sie wie kein anderer Kanzler der Nachkriegszeit der Sehnsucht nach Entschlossenheit und Tatkraft entsprochen.
Für einen Teil der Wähler mag das stimmen. Immerhin habe ich zwei Bundestagswahlen bestritten – mit Ergebnissen an die 43 Prozent.
Für heutige Verhältnisse sehr schmeichelhaft. Aber fühlten Sie sich durch das Etikett des Machers vielleicht auch verkannt?
Nein, verkannt habe ich mich nicht gefühlt. Als jedoch einige gesagt haben, ich sei zwar ein ganz ordentlicher Kanzler, aber leider in der falschen Partei, da habe ich mich verkannt gefühlt.
Finden Sie es wichtig, dass Politiker Charisma haben?
Ich habe immer Hemmungen, einen charismatisch begabten Politiker nur seines Charismas wegen einem Mann der abwägenden Vernunft vorzuziehen.
Haben Sie Willy Brandt für sein Charisma bewundert?
Ja.
Beneidet?
Nicht beneidet, aber bewundert. Bis in die sehr frühen Siebzigerjahre habe ich ihn nicht nur bewundert, sondern bin ihm nahezu bedingungslos gefolgt.
28. Februar 2008
[ Inhalt ]
»Ich habe nie einen Döner bestellt«
Über Ausländer in Deutschland
Lieber Herr Schmidt, Ihre Generation hat Millionen von Ausländern nach Deutschland geholt, aber sich herzlich wenig um die Folgen gekümmert.
Ich denke, ich persönlich muss mir diesen Schuh nicht anziehen.
Wer dann?
Das hat der damalige Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard betrieben. Im Grunde genommen ging es ihm darum, durch Anwerbung relativ billiger ausländischer
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