Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt
geschrieben hat, zum Beispiel in Mathematik, da war sie besser. Und niemand hat es gemerkt.
Ihre Lehrer, schreibt Ihr Biograf Hartmut Soell, erinnern sich so an den Schüler Schmidt: »völlig undiszipliniertes Verhalten« sowie »starke Schwatzhaftigkeit, Unbeherrschtheit, Zügellosigkeit im Ausdruck und Robustheit in den Umgangsformen«. Schämen Sie sich denn gar nicht?
Ob ich mich damals geschämt habe? Kaum – und nachträglich auch nicht!
Haben Sie sich denn selbst so in Erinnerung?
Nein. Ich weiß auch nicht, wer dieses Zeugnis geschrieben hat. Kann sein, dass es der von den Nazis eingesetzte Schulleiter war.
Die eine oder andere Beschreibung kann man sich jedenfalls vorstellen.
Ich erinnere, dass mich mal jemand im Ruderclub an der Alster, in dem wir Schüler unsere Boote liegen hatten, festgehalten und gefragt hat: »Wo willst du denn hin?« Und ich habe wohl gesagt: »Ich will aufs Scheißhaus.« Das hat einen Riesenwirbel ausgelöst. Es war natürlich eine Frechheit von dem Dreizehn- oder Vierzehnjährigen, so mit einem Erwachsenen zu reden.
Schmidt-Schnauze!
Ja, ich hatte eine freche Klappe.
19. März 2008
[ Inhalt ]
»Menschen lassen
sich gern täuschen«
Über Dichtung und
Wahrheit in der Politik
Lieber Herr Schmidt, sollte ein grundehrlicher Mensch in die Politik gehen?
Ja, durchaus. Ich halte mich auch für einen ehrlichen Kerl.
Haben Sie in der Politik nie gelogen, nie geblufft?
Gelogen nein, geblufft ja. Das muss man manchmal. In der Politik ist das wie im Fußball, deswegen müssen Sie kein unfairer Fußballer sein. Das Dribbling besteht zur Hälfte aus Bluffen.
Schätzen Sie Hannah Arendt?
Ich habe sie nicht gekannt, einiges von ihr gelesen, ja.
Von ihr stammt der Satz: »Niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet.«
Ich habe nicht den ganzen Plato und den ganzen Aristoteles im Kopf; aber ich würde mich wundern, wenn nicht mindestens bei Aristoteles die Wahrheit als Tugend auch in der Politik vorkäme.
Warum schneidet dann die Glaubwürdigkeit von Politikern in Umfragen so miserabel ab?
Politik gibt es seit Tausenden von Jahren, in Europa schon seit den alten Griechen auch demokratische Politik. Damals gab es weder Zeitungen noch Umfragen. Diese relativ neuen Erscheinungen verleiten Politiker, Dinge um des Effektes willen zu sagen. Im alten Athen sprachen die Politiker zu den auf dem Marktplatz versammelten Bürgern, und nach einer Debatte fällten diese sogleich die endgültige Entscheidung. In der heutigen Massengesellschaft ist die Unmittelbarkeit der Wirkung eines Politikers durch die Medien gestört. Sie heißen mit Recht »Medien«, weil sie dazwischenstehen. Unsere Demokratie ist etwas anderes geworden. Die Massenmedien spielen eine Riesenrolle – nicht nur eine gute, bisweilen eine üble Rolle. Das Fernsehen kann Unheil anrichten.
Wenn Politiker nach der Wahl ihre Meinung ändern und wie Lügner dastehen, ist das nicht die Schuld der Medien!
Meinungswechsel gibt es nicht nur in der Politik. Es gibt zum Beispiel Ehemänner, die meinen, dass ihre Ehefrau zu alt sei und sie eine junge bräuchten. Und dann brechen sie ihr Wort und lassen sich scheiden.
Aber das ist etwas Privates. Das andere gehört offenbar zum System der Politik.
Opportunismus ist zum Kotzen, aber er ist kein Monopol der Politiker.
Waren die Politiker zu Ihrer Zeit glaubwürdiger?
Nein, ein Mann wie Richard Nixon ist mir zum Beispiel nie ganz glaubwürdig erschienen. Er war ein ganzanderer Typus als Jimmy Carter – ein sehr ehrlicher Mann, aber leider nicht sehr erfolgreich.
Warum nicht?
Weil er oft seine Meinung änderte. Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass er übermorgen noch derselben Meinung war, wie er mir gestern gesagt hatte.
Hat Ihre Frau Sie jemals umgestimmt?
Nein. Wir haben in politischen Dingen immer ziemlich ähnlich empfunden.
Angela Merkel hat in ihrem Wahlkampf 2005 den Leuten ja ganz klar gesagt, was sie ihnen zumuten möchte. Daraufhin ist sie in den Umfragen und im Wahlergebnis abgestürzt.
Menschen lassen sich gern täuschen. Es wäre gut gewesen, bei den Ankündigungen zu bleiben.
Kommen Koalitionen bisweilen nicht auch erst nach einem Wortbruch zustande?
Nein.
Auch nicht, wenn man vorher versichert hat: »Mit denen auf keinen Fall«?
So etwas habe ich nie gesagt. Das muss man auch nicht. Es kann Fälle geben, in denen einem zugemutet wird, mit einem Hallodri zu koalieren – Adenauer hat das gewusst. Wenn man aber vorher
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