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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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Arbeitskräfte das Lohnniveau niedrig zu halten. Mir wäre stattdessen lieber gewesen, die deutschen Löhne wären gestiegen. Im Laufe der Jahre hat sich dann herausgestellt, dass es verschiedene Ausländer gab: Deutliche Probleme gab es mit einigen Türken, die in der zweiten und dritten Generation nach Deutschland kamen oder hier geboren wurden.
    Wollen Sie sagen: Das war zu Erhards und Ihrer Zeit nicht vorauszusehen?
    Als ich 1974 von Willy Brandt die Regierung übernahm, gab es hier dreieinhalb Millionen Ausländer, die Hälfte davon Türken. Ich sah damals voraus, dass die Deutschen es nicht fertigbringen würden, alle Türken zu integrieren.
    Warum nicht – weil die Deutschen nicht wollten?
    Weil beide Seiten weder wollten noch konnten.
    Was heißt »nicht konnten«?
    Wir hätten ihnen schulische Bildung geben und alle Türen öffnen müssen. Das haben wir aber nicht getan.
    Weil die Deutschen ihr Herz nicht öffnen wollten?
    Sie konnten nicht und wollten eigentlich auch nicht, denn sie erkannten nicht, dass viele Ausländer auf Dauer hierbleiben wollten. Ich habe die weitere Zuwanderung von Ausländern gestoppt, ganz leise, weil ich keine Ausländerfeindlichkeit provozieren wollte.
    Wie geht das?
    Erst haben wir die Anwerbung aufgehoben, dann haben wir die Rückkehr in die Heimatländer erleichtert, sodass wir am Ende meiner Regierungszeit nur genauso viele Ausländer hatten wie am Anfang. Zu Zeiten von Helmut Kohl hat sich die Zahl später verdoppelt. Jetzt sind wir bei siebeneinhalb Millionen, und wir haben große Probleme: Unsere deutsche Gesellschaft hat sich nicht ausreichend fähig gezeigt, alle Ausländer wirklich zu integrieren.
    Sagen Sie das mit Bedauern oder mit Verständnis?
    Mit großem Bedauern. Aber man kann an der Tatsache nicht vorbeisehen. All das schöne Gerede von Multikulti hat bisher keine positiven Wirkungen erzeugt.
    Warum trifft es besonders die türkische Community?
    Die kulturellen Unterschiede zwischen einer jungen Türkin aus einem Dorf im Osten Anatoliens und der Bevölkerung einer deutschen Großstadt – diese Unterschiede sind sehr viel größer als etwa die Unterschiede zwischen einem italienischen Arbeiter aus Kalabrien und einem deutschen Arbeiter.
    Was können wir denn machen, um das Zusammenleben mindestens erträglicher zu gestalten?
    Es ist keine leichte Aufgabe, aber sie muss als Aufgabe begriffen werden. Das ist auch Sache des Schulrates eines Landkreises oder des Bürgermeisters einer Kleinstadt. Die Gesamtgesellschaft muss dafür sorgen, dass die Kinder in den Kindergarten und in die Schule kommen, dass sie, auch wenn sie zu Hause mit der Mutter Türkisch reden, gleichwohl lernen, Deutsch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben.
    Darf man Ausländer in Deutschland »Ausländer« nennen?
    Wenn man dieses Wort von vornherein ohne einen antagonistischen Zungenschlag benutzt, ist es in Ordnung. Aber es hat häufig einen feindlichen Unterton.
    Haben Sie jemals in Ihrem Leben einen Döner gegessen?
    Wenn man Gast ist, muss man essen, was auf den Tisch kommt. Von mir aus habe ich keinen Döner bestellt.

    6. März 2008

[ Inhalt ]
    »Ich beneide Großeltern«
    Über Kinder
    Lieber Herr Schmidt, Konrad Adenauer hat einmal den zeitlos wirkenden Satz gesprochen: »Kinder kriegen die Leute immer.« Aber er hat sich getäuscht.
    Wahrscheinlich hat er das irgendwann in den Fünfzigerjahren gesagt. Damals hatte er noch recht, heute nicht mehr.
    Damals gab es weniger Wohlstand, aber die Deutschen bekamen mehr Kinder als heute.
    Wohlstand ist ein Grund dafür, dass die Deutschen weniger Kinder bekommen, aber nicht der einzige. Die Pille spielt eine Rolle, die es zu Adenauers Zeiten nicht gegeben hat, und drittens die berufliche Emanzipation der Frauen. Die ist inzwischen unendlich viel weiter fortgeschritten.
    Das alles kann man nun wirklich nicht beklagen.
    Ich würde den Geburtenrückgang weder bedauern, noch würde ich ihn begrüßen. Er ist eine Tatsache, mit der man leben muss. Wenn es dabei bleibt, dass wir so wenig Kinder in die Welt setzen wie gegenwärtig, wird sich unsere Gesellschaft weitgehend verändern.
    Muss man sich davor fürchten?
    Ich will die Gefahren nicht übertreiben. Aber zurentscheidenden Frage wird dann, wie wir auf Dauer den Wohlfahrtsstaat erhalten. Und außerdem werden wir dann nicht nur Schwierigkeiten haben, Türken zu integrieren, sondern Zuwanderer aus Afrika und Asien.
    Würden Sie sagen, dass die nationalsozialistische Mutterideologie auch dazu

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