Auf einmal ist Hoffnung
geschultert.«
Kagel überlegte flüchtig und brüllte daraufhin Louis an: »Wie kommst du Hurensohn dazu, mich anzulügen?«
»Ich lüge nicht, Sturmbannführer«, sagte Louis unbeweglich und war auf einmal ganz ruhig.
»Du lügst!« Kagels Stimme überschlug sich. Aber er war sich seiner Sache nicht mehr völlig sicher und fragte Witt energisch: »Wie haben Sie die Mittagspause verbracht?«
»Ich habe meine Marschverpflegung gegessen.«
»Wo war dabei Ihr Gewehr?«
»Ich hatte es ab-, ich hatte es umge-, ich meine, geschultert«, versprach sich Witt, und sein Gesicht lief vor Angst rot an.
»Ich werde die Sache verfolgen«, sagte Kagel drohend. Dann wandte er sich an Louis und brüllte: »Und du bekommst vier Wochen verschärften Bunker!«
Der Strafrapport war beendet. Eine Woche später sollte Witt zu einer Strafkompanie versetzt werden.
Louis aber wurde schon am gleichen Tag in den Bunker eingeliefert. Er trug Handschellen, die durch eine schwere, eiserne Kette miteinander verbunden waren.
Vier Wochen hauste er allein in einem engen, dunklen muffigen Raum ohne Fenster und Luftzufuhr, mit den Handschellen an eine Art Mühlstein gekettet. Er schlief auf dem nackten Steinboden, ohne Decke oder Unterlage. Er bekam pro Tag eine Scheibe Brot und zwei Becher Wasser. Er konnte sich weder waschen noch rasieren und war gezwungen, seine Notdurft im dunklen Raum zu verrichten.
Als er nach vier Wochen wieder das erste Tageslicht erblickte, wurde ihm derart schwindlig, daß er glaubte in Ohnmacht zu fallen. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen. Sein Gesicht war grünlich fahl.
Monroe nahm ihn sofort in seine Obhut. »Diesmal haben sie mich geschafft«, sagte Louis schwer atmend und bewegte die aufgesprungenen Lippen kaum.
»Wir kriegen dich wieder hin, Louis.« Monroe wollte ihm Mut machen, obwohl er selber nicht an seine Worte glaubte.
Am zweiten Abend merkte er, daß Louis hohes Fieber hatte. Er ging pflichtgemäß zum Pförtner des Häftlingskrankenhauses und meldete es ihm.
»Wie hoch?« Der Pförtner, selbst ein Häftling, nahm gewöhnlich die erste Auslese vor und bestimmte, wer behandelt wurde und wer nicht. Er gab sich selbstgerecht.
»Sehr hoch«, antwortete Monroe unterwürfig, um das Wohlwollen des Pförtners zu gewinnen.
»Wie lange schon?«
»Ich nehme an, schon längere Zeit.«
»Was bietest du?«
»Fünf Zigaretten. Mehr habe ich nicht.«
»Gib her.« Der Pförtner hielt die Hand auf.
Monroe gab ihm die Zigaretten. Der Pförtner verschwand kurz im kleinen Anmeldezimmer und kam gleich darauf mit einem Fieberthermometer zurück. »Bis morgen.« Er gab es Monroe.
Louis glühte. Das Fieber stand auf neununddreißigneun. Monroe war verzweifelt. Hastig tränkte er ein paar Kleidungsstücke im Wassertrog und legte sie dem Kranken auf die nackte Haut. Darüber schob er zwei der Decken, die sie zum Schlafen benützten.
Diese Prozedur wiederholte er jede Viertelstunde, bis zum Abpfiff.
Am nächsten Morgen war das Fieber um sieben zehntel Strich zurückgegangen.
»Wie fühlst du dich?« Monroe war schon angekleidet. Er beugte sich zu Louis hinunter, der kraftlos auf der Pritsche lag.
»Ich glaube, ich kann den Appell mitmachen.« Louis versuchte ein Lächeln, aber es gelang ihm nicht.
»Es geht nicht um den Appell«, sagte Monroe, »es ist viel schlimmer.«
»Mußt du zum Strafrapport?« Louis hielt erschrocken den Atem an.
Monroe schüttelte verneinend den Kopf. »Wir werden verlegt.«
»Verlegt? Wir beide?« fragte Louis beklommen.
»Neun Mann aus unserem Block. Begreifst du?«
»Ja. Wohin? Bergen-Belsen?«
»Schlimmer.«
»Buchenwald?« Es kam leise.
»Auschwitz.«
»Nein.« Louis starrte Monroe mit ängstlichen Augen an. Dann sprach er kaum hörbar mehr zu sich selbst: »Sag, daß es nicht wahr ist.« Er wußte, daß diese Verlegung einem Todesurteil gleichkam, noch dazu für ihn in seinem jetzigen, geschwächten Zustand.
»Ich wollte, ich könnte dir sagen, daß es nur ein Angsttraum war«, antwortete Monroe ausdruckslos. Er setzte sich auf den harten Bettrand und drückte die Hand des Freundes. »Wir überleben es, Louis, glaub mir«, sagte er entschlossen und wiederholte mit Nachdruck leise: »Wir überleben es.« Es war, als wollte er sich selbst aufrichten.
11
Über Galveston zog ein Gewitter herauf, und es dunkelte am späten Nachmittag. In der Bibliothek seines Hauses unterbrach Louis Hornberger die Erzählung über das Leben im Konzentrationslager und schaltete das
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