Auf einmal ist Hoffnung
sprach.
»Wofür?« fragte Witt verwirrt.
»Du weißt es sehr gut«, sagte Louis leise.
»Ich habe dir nichts getan.« Es klang kehlig.
»Wenn du dich nicht entschuldigst, bedauern wir es.« Louis ließ keinen Zweifel daran, wie er es meinte.
Witt schluckte. Dann sagte er mit belegter Stimme: »Ich entschuldige mich.«
»Nicht hier«, verbesserte Louis ihn, »heute abend beim Appell. Vor allen Anwesenden.«
»Das kann ich nicht. Das darf ich nicht.« Witt bewegte die Lippen kaum.
»Dann tut es uns leid.« Louis zuckte die Schultern.
»Das wäre genauso schlimm wie das Gewehr zu verlieren«, setzte Witt tonlos fort und fügte für sich hinzu: »Wenn nicht sogar schlimmer.«
»Dann entschuldige dich schriftlich.« Schon als Louis den Gedanken aussprach, überkam ihn ein ungutes Gefühl, doch er maß ihm keine besondere Bedeutung bei.
»Das ist ebenso schlimm«, antwortete Witt hastig, aber nach kurzer Überlegung änderte er seine Meinung: »Wenn es die einzige Möglichkeit ist, werde ich es tun.« Seine Stimme klang mit einemmal wieder fest, und er holte aus seiner Uniformjacke das Notizbuch und einen Bleistift.
Kurz darauf übergab er Louis die schriftlich formulierte Entschuldigung für seine Meldung vor nunmehr beinahe drei Jahren. Louis steckte den Zettel zufrieden in die Hosentasche. Er hatte seine Genugtuung.
Am Tag darauf allerdings bestand er nur noch aus abgrundtiefer Verzweiflung und ohnmächtigem Zorn.
Witt führte bei Louis, an dessen Platz in der Unterkunft, eine strenge Razzia durch. Kleider, der mit Stroh gefüllte Schlafsack, die zwei vor Dreck starrenden Decken, Waschutensilien, Schuhe, Seifendose, Blechnapf, Mützenrand, nichts war vor ihm sicher, nicht einmal das vergilbte Foto aus einer alten Zeitung, das mit zwei Reißnägeln an der Innenwand des Spindes befestigt war und ein unbekanntes Mädchen zeigte. Witt riß es herunter, um sich zu vergewissern, daß dahinter nichts verborgen war. Er befahl Louis sogar, sich nackt auszuziehen.
Dann fand er, wonach er gesucht hatte: Den Zettel mit seiner handgeschriebenen Entschuldigung. Er nahm ihn wortlos an sich und verließ den Raum.
Noch am selben Abend stand Louis wieder im Hauptbüro vor dem Lagerkommandanten Kagel, der im Lauf der Jahre zum SS-Sturmbannführer aufgestiegen war. Er saß hinter dem Schreibtisch.
Der dicke Witt brachte die Anklage gegen Louis vor. »Versuchte Erpressung mit gefälschter Unterschrift.«
»Sturmbannführer, ich schwöre bei meinem Augenlicht …« Louis versuchte sich zu rechtfertigen.
»Schnauze!« schnitt Kagel ihm das Wort ab.
»Die Unterschrift ist echt«, stieß Louis hastig vor, »es gibt acht Zeugen.«
»Du wolltest den Scharführer fertigmachen!« Kagel brüllte, daß Louis zurückwich.
»Der Scharführer hatte sein Gewehr verloren«, warf Louis überstürzt ein und war außer sich vor Angst.
»Was sagst du da?« Kagels Stimme überschlug sich drohend.
Doch im nächsten Augenblick horchte er auf, er wandte sich an Witt und fuhr ihn an: »Was war mit Ihrem Gewehr?«
»Der Häftling lügt«, verteidigte sich Witt aufgebracht.
»Ich will wissen, was mit Ihrem Gewehr war!« Kagel hob die Stimme an.
»Nichts, Sturmbannführer, nichts war mit meinem Gewehr.«
»Wie kommt der Häftling dazu, so etwas zu behaupten?« Kagels Frage galt nach wie vor Witt.
»Es sind neun«, antwortete Witt ängstlich, »sie wollen mich fertigmachen.«
»Sie haben den Karabiner also nicht verloren?« fragte Kagel skeptisch.
»Nein, Sturmbannführer.« Witt knallte die Hacken zusammen und stand stramm.
»Der Scharführer war eingeschlafen«, sagte Louis schnell, damit Kagel ihn nicht unterbrechen konnte.
»Du hältst die Schnauze!« schrie Kagel Louis an und wandte sich streng an Witt: »Haben Sie im Dienst geschlafen? Ja oder nein?«
»Der Häftling lügt«, antwortete Witt forsch.
»Schildern Sie die Situation«, befahl Kagel.
»Jawohl, Sturmbannführer.« Wieder schlug Witt die Hacken zusammen. Dann meldete er militärisch knapp: »Ich führte gestern das Kommando Steinbruch mit neun Häftlingen des Blocks vierzehn. Die Männer arbeiteten langsam, denn es war sehr heiß. Wir machten Mittagspause. Die Häftlinge …«
»Wie haben Sie Ihre Aufsicht ausgeübt?« fragte Kagel ärgerlich dazwischen. Er wollte, daß Witt zum Thema kam.
»Ich patrouillierte vorschriftsmäßig fünf Schritte von den Häftlingen entfernt auf und ab.«
»Wo war dabei Ihr Karabiner?« Kagel furchte die Stirn.
»Ich hatte ihn
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