Auf einmal ist Hoffnung
antwortete Louis so leise, daß niemand außer Monroe es hören konnte, »der Kerl gehört mir.«
»Sei gescheit, Louis«, warnte ihn Monroe, »das nächste Mal werden sie dich umbringen.«
Sie diskutierten noch bis zum Schlafen darüber, ob sie sich an dem Aufseher rächen sollten oder ob es nicht doch klüger sei, es nicht zu tun. Sie fanden aber zu keinem Ergebnis.
Erst an einem der darauffolgenden Tage kam Louis noch einmal darauf zurück. »Ich habe mich entschieden«, sagte er einsichtig zu Monroe, »mir ist der Kerl gleichgültig.«
Monroe atmete auf. »Es ist das beste. Denn ich möchte dich nicht verlieren, Louis.«
Monate gingen ins Land. Chanukka, das Lichterfest, kam. Und für die Christen Weihnachten. Das Leben im Konzentrationslager hatte seine Spuren bei ihnen hinterlassen. Sie waren weitgehend abgestumpft. Sie pflegten ihre kraftlosen Mithäftlinge. Sie begruben ihre Toten. Und sie zeigten dabei kaum eine seelische Reaktion.
Es wurde Frühling, und die milde Sonne gestaltete ihren Alltag manchmal ein wenig erträglicher.
Am Purimfest nahmen sie Abschied von Aaron Breslauer. Er war in der Nacht vor Entkräftung sanft entschlafen. Monroe sprach für ihn ein Gebet: »O Herr, geleite diesen deinen Knecht zum Guten. Laß deine Gnade über ihm walten. Du führtest sein Herz zu dir hin, pflanze nun in sein Herz deine Liebe und Ehrfurcht. Öffne es deinen Geboten, leite ihn auf deinen Pfaden um deiner Gnade willen.«
Es war inzwischen Krieg. Die Entbehrungen, Demütigungen und Ängste unter den Häftlingen im Lager nahmen noch mehr als vorher zu. Louis und Monroe wurden zusehends gebrochener. Doch immer noch loderte in Louis der Haß gegen Unterscharführer Witt, ohne daß er es sich anmerken ließ.
Es war beinahe drei Jahre nach dem Vorfall bei den Erdarbeiten, als Louis den Tag seiner Rache gekommen sah. Wieder einmal war Witt Aufseher einer Arbeitsgruppe, der auch Louis und Monroe angehörten, und sie waren nur neun Mann. Sie arbeiteten im Steinbruch. Witt war jetzt SS-Scharführer.
Es war sengend heiß an diesem Tag. Die Häftlinge schufteten mit nacktem Oberkörper, schlugen erschöpft Felsblöcke aus dem Bruch, hievten sie keuchend auf Loren, schoben die schwere Last zum Platz des Abtransports und hoben sie dort, unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte, über eine primitive schiefe Ebene auf die Lastwagen.
Es war eine mühsame, eintönige Arbeit, die unendlich viel Schweiß kostete.
Auch Witt litt unter der glühenden Sonnenhitze. Müdigkeit überfiel ihn, und er genehmigte sich eine Ruhepause. Er setzte sich, abseits von den arbeitenden Häftlingen, in den Schatten eines Gebüschs und lehnte sein Gewehr gegen die Zweige. Bald aber legte er sich in den Sand und schlief ein.
Als er eine halbe Stunde später erwachte, war sein Gewehr verschwunden. Sein Gesicht wurde blaß vor Zorn und Angst zugleich.
Er fürchtete sich vor den neun Männern. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß Häftlinge vor blinder Wut durchdrehen und einen wehrlosen Aufseher zusammenschlagen würden. Und ihn überkam eine panische Angst vor der unbarmherzigen Strafe, die ihn erwartete, wenn er ohne seinen Karabiner ins Lager zurückkam.
Er ließ die Arbeitsgruppe antreten, brüllte auf jeden einzelnen der Männer ein, daß sich seine Stimme überschlug, drohte ihnen die härtesten Strafen an, wenn sie das Gewehr nicht sofort wieder hergeben würden.
Doch er stand einer Mauer gefährlichen Schweigens gegenüber.
Seine Angst nahm zu.
Er versuchte einzulenken, appellierte an ihre Vernunft, aber das reglose Schweigen blieb.
Er machte ihnen Versprechungen, stellte ihnen eine Vorzugsbehandlung in Aussicht, eine doppelte Verpflegung für drei Tage, einen besonders angenehmen Arbeitsplatz für den nächsten Monat und sogar für jeden der neun Männer ein Päckchen Zigaretten, wenn sie nur sein Gewehr wieder herausrücken würden. Doch die Gesichter der neun starrten ausdruckslos auf ihn.
Endlich bat er sie, und dann flehte er sie sogar an, sie sollten doch nicht so hartherzig sein und ihn dieser schrecklichen Verantwortung ausliefern.
Die Männer schwiegen.
Witts Stimme zitterte vor Furcht. »Ich verspreche euch alles, was in meiner Macht steht. Nur: Gebt mir bitte mein Gewehr!«
Niemand reagierte.
Witt konnte kaum noch an sich halten. Aber ihm war klar, daß er verloren war, wenn die Männer nicht nachgaben. »Sagt, was ihr dafür wollt.«
»Du sollst dich bei mir entschuldigen.« Es war Louis, der
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