Auf einmal ist Hoffnung
schneidend.
»Milstein«, antwortete Louis zaghaft und verbesserte sich sofort beflissen: »Joseph Milstein, zwei-zwei-null Newbury Street, Boston.«
»Wie schreibt man Milstein?«
Louis buchstabierte.
»Und die Adresse?«
Louis buchstabierte noch einmal.
»England?« Es klang abfällig.
»Vereinigte Staaten von Amerika«, berichtigte Louis.
»Kapitalistenschweine.«
Louis war entlassen.
Im nächsten Raum mußte er sich tätowieren lassen. »Karte!« forderte ein selbstherrlicher Unterscharführer in weißem Kittel, und Louis übergab ihm die Karte mit seiner Lagernummer.
»Linker Unterarm frei!« befahl der Unterscharführer.
Louis gehorchte und schob den Drillich bis über den Ellenbogen zurück.
Der Unterscharführer packte Louis' Arm, legte ihn sich auf der Tischplatte zurecht und brannte ihm mit einzelnen Nadeln die Lagernummer ein.
Im darauffolgenden Raum wurden alle neuen Häftlinge fotografiert, auch Louis und Monroe. Ein Profilbild, einschließlich des linken Unterarms mit der sichtbaren Lagernummer. Ein Profilbild der anderen Seite. Ein Brustbild von vorn.
Die Registrierung war abgeschlossen.
In der Häftlingsschreibstube wurden der Name des Häftlings sowie die Lagernummer in die dortige Kartei aufgenommen, und der Häftling wurde einem Lagerblock zugewiesen.
Louis und Monroe kamen zum Block Elf, dem sogenannten Todesblock. Er hieß so, weil sich zwischen den Häusern Zehn und Elf ein durch zwei Mauern abgeschirmter Hof befand, an dessen Stirnseite eine schwarze Wand aus Holz stand, vor der Sand aufgeschüttet war. Hier wurden zum Tode Verurteilte durch Genickschuß getötet. Der Sand schluckte das Blut der Opfer.
Der Tagesablauf glich dem im Lager Sachsenhausen. Im Morgengrauen aufstehen. Bettenmachen. Im Waschraum anstellen. Zum Frühstück anstellen. Für den Lagerappell in Zehnerreihen antreten. Arbeits-Kommando formieren. Um sechs Uhr morgens Abmarsch zur Arbeit. Gegen fünf Uhr nachmittags Rückkehr ins Lager. Zählung am Tor. Zählung beim Abendappell. Abendbrot. Ab ungefähr neun Uhr abends Nachtruhe.
Schon nach ein paar Tagen spürte Monroe, daß Louis nicht durchhalten würde. Nach dem abendlichen Zählappell zog er den Freund vor ihrem Block in eine Ecke der Straße und achtete darauf, daß niemand mithören konnte. »Du bist in großer Gefahr, Louis.«
»Mach dir meinetwegen keine Sorgen, Mon.« Louis sah Monroe tapfer an.
»Nein, Louis, ich lasse es nicht zu, daß du dich aufgibst«, sagte Monroe entschieden, »du mußt hier weg.«
»Hast du vergessen, was wir uns geschworen haben?«
»Damals kannten wir Auschwitz noch nicht.«
»Du siehst Gespenster, Mon.«
»Ich halte nur meine Augen offen. Und ich sehe, was mit denen geschieht, die zu schwach sind, keine Arbeitsleistung bringen und kaum noch aufrecht durchs Tor marschieren können.« Monroes Stimme klang ernst, und er setzte eindringlich hinzu: »Du weißt das genausogut wie ich.«
»Ich weiß nur, daß ich hier bei dir bleibe.« Louis hüstelte kränklich.
»Wo ist Porowski geblieben? Wohin ist der Österreicher Weidinger gekommen?«
»Porowski?« Louis wußte mit dem Namen nichts anzufangen.
»Der kleine Alte, der zwei Betten weiter lag. Weißt du es wirklich nicht, was sie mit ihm gemacht haben?«
»Liegt er nicht im Krankenhaus?«
»Er liegt nirgends mehr«, sagte Monroe bedrückt, »seine Leiche wurde sicher schon verbrannt.«
»Ich bin noch keine siebzig.« Louis wollte sich selber Mut machen.
»Und Weidinger? Der war ungefähr in unserem Alter. Er hatte nur das Pech mit der verschleppten Lungenentzündung.«
»Lungenentzündung?«
»Deshalb ist er wohl vorgestern beim Straßenbau zusammengebrochen«, stellte Monroe verbittert fest, »und seine Kumpels mußten ihn ins Lager zurückschleppen. Das war sein Todesurteil.«
»Ich halte durch, glaub mir, Mon«, sagte Louis optimistisch. Wieder hüstelte er.
»Nein, Louis, das Risiko ist zu groß. In ein paar Tagen schleppen wir auch dich von der Arbeit ins Lager zurück.«
Eine Weile schwiegen sie betreten.
Dann sagte Louis: »Ich kenne dich lange genug, Mon. Du hast sicher schon einen vernünftigen Vorschlag bereit.« Es sollte heiter klingen, aber es mißlang.
»Vernünftig wäre, wenn du deinen Zustand auskurieren könntest. Drei Wochen im Krankenbau. Viel Schlafen. Nur Ruhe. Kräftiges Essen. Also eine Art Sanatoriumsaufenthalt.«
Monroe sprach von einer Unmöglichkeit, und auf seinem Gesicht lag ein bitteres Lächeln.
»Was hast du dir also
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