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Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)

Titel: Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Naumann
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größer.«
 
    Am Tag nach der Pantheonisierung Marats schrieb Mary an Imlay zwei Briefe, die sie auf den »bewährten« Postweg gab, und dann noch einen dritten, den ein Bekannter ihm direkt überbringen würde. Entschuldigend schrieb sie, sie wisse, wie enttäuscht sie selbst wäre, jemanden zu treffen, der ihn getroffen habe und keinen Brief für sie habe, selbst wenn es nur ein kurzer sei – und außerdem:
    »Du möchtest ja wieder und wieder hören, daß unser kleiner Herkules ganz wiederhergestellt ist. Außer mich zu sehen gibt es drei andere Dinge, die sie liebt – in einer Kutsche fahren, auf eine scharlachrote Uniform schauen und laute Musik hören – gestern, beim Fest, konnte sie die beiden letzteren genießen.
    Du wirst sagen, das ist banal – soll ich über Alaun oder Seife reden? In Deinen gegenwärtigen Betätigungen ist nichts Malerisches; meine Phantasie wandert lieber mit Dir zurück zur barrier , oder ich sehe Dich kommen, zu mir und meinem Korb mit Trauben. – Mit welchem Vergnügen erinnere ich mich an Deine Blicke und Worte, wenn ich am Fenster saß und auf das wogende Korn schaute.
    Glauben Sie mir, mein weiser Herr, Sie haben nicht genügend Respekt vor der Phantasie – ich könnte Ihnen im Nu beweisen, daß sie die Mutter des Gefühls ist, daß sie das ist, was unsere Natur auszeichnet, und das einzige, was die Leidenschaften veredelt – Tiere haben etwas Verstand und die gleichen, wenn nicht schärfere Sinne wie wir, aber in ihren Handlungen zeigt sich keine Spur von Phantasie oder von deren Sprößling Geschmack. Sinnentrieb, Leidenschaften und Vernunftgründe bringen die Menschen zusammen; aber die Phantasie ist das wahre Feuer, vom Himmel gestohlen, um dieser kalten Kreatur aus Lehm Leben und all die zarten Neigungen einzuhauchen, die uns in Entzückung versetzen und unsere Herzen füreinander öffnen, statt ihnen Muße zur Berechnung von gesellschaftlichen Vorteilen zu lassen.
    Wenn Du diese Überlegungen romantisch nennst, eine Formulierung, die an dieser Stelle gleichbedeutend mit unsinnig wäre, müßte ich antworten, daß Du durch den Handel und die vulgären Genüsse des Lebens vertiert bist – bring mir Dein barrier-face zurück, oder Du wirst meinem barrier-girl nichts zu sagen haben; und ich werde von Dir forteilen, um die Erinnerungen zu hegen und zu pflegen, die mir für immer teuer sein werden,
    for I am yours truly Mary« .
 
    Immer das gleiche Lied, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat.
    Die Journalisten durften wieder frei schreiben. »Seitdem die Freiheit, zu sprechen und zu schreiben, völlig wiederhergestellt ist, erfährt man nicht nur von den Greueln des Vendée-Krieges, sondern auch von vielen anderen Grausamkeiten, die in allen Gegenden des Reichs unter Robespierres Herrschaft verübt wurden.« Als ob die Wahrheit nicht schon schlimm genug gewesen wäre, wurden maßlose Übertreibungen und Verleumdungen in die Welt gesetzt. Der tugendhafte Lebenswandel Robespierres zum Beispiel? Pure Heuchelei! »Im Konvent hat ein Abgeordneter erklärt, daß Robespierre tatsächlich einige Geliebte unterhielt. Sollte das zutreffen, vermute ich, daß sie eher seiner Eitelkeit als seinen Sinnen schmeichelten.«
    Die Theater brachten keine Revolutionsspektakel mehr, sondern Klassiker wie Moliéres Tartuffe . »Die Pariser fangen jetzt an, wieder das muntere Wesen anzunehmen, das sie, und die ganze französische Nation, ehemals so vorzüglich auszeichnete«, meldete die Vossische Zeitung Anfang Dezember. »Man wagt es auch nachgerade, sich reinlich zu kleiden, ohne daß man befürchten darf, von einem plumpen Menschen mit Holzschuhen bespritzt zu werden. Die Frauenzimmer finden wieder Geschmack am Putze, und besorgen nicht mehr, durch Toilette und Reinlichkeit Anlaß zum Verdacht zu geben. Talente und Künste werden wieder geschätzt.« Opferbälle – bals à victimes  – sind en vogue. »Elegant gekleidet tanzt man zu Ehren der Toten, um den linken Arm trägt man schwarzen Krepp.«
    Die Franzosen leiden unter dem kältesten Winter seit Menschengedenken. Die Pariser trifft es besonders hart. Wolfsrudel streifen um die Stadt. Anfang April »strömen die Hungernden aus den Vorstädten zu den Tuilerien, belagern den Konvent und verlangen neben Brot die Verfassung des Jahres 1793«.
    Mary wartet auf Imlay, der sie von Woche zu Woche vertröstet und dann doch ausbleibt. Es geht nicht anders, erklärt er, er muß noch etwas in London bleiben, die Sache mit

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