Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
Geburt. Schon am achten habe sie einen kleinen Spaziergang gemacht und den angeblich so gefährlichen neunten gut überstanden. »Mein kleines Mädchen saugt so kraftvoll (manfully) , daß ihr unverschämter Vater damit rechnet, daß sie den zweiten Teil der Rechte der Frau schreiben wird.«
Imlay war in eine Situation geraten, in die er nie hatte kommen wollen. Er war Familienvater mit allen dazugehörigen Sorgen und Unbequemlichkeiten – Windeln, Kindergeschrei, wenig Schlaf, kein Sex. Marys »neues Band« war für ihn eine Fessel. Damit ihre Auswanderungspläne möglichst schnell Wirklichkeit werden konnten, unterstützte sie Imlay jetzt bei seinen Geschäften und vertrat ihn, wenn er unterwegs war. Tatsächlich konnte er Hilfe brauchen. »Ein größeres, riskantes Handelsprojekt forderte all seine Zeit und Energie und sorgte dafür, daß er viel außer Hauses war. Dieses Unternehmen sollte bald außer Kontrolle geraten und Macht über ihr Leben gewinnen.«
Es begann mit dem Kauf eines Schiffes, das Waren in neutralen Ländern aufnehmen und dann durch die englische Blockade nach Havre-Marat bringen sollte. Am 18. Juni erwarb Imlay im Auftrag seiner Geschäftspartner und des Pariser Comité des Subsistances den französischen Dreimaster La Liberté , den er unter dem neuen Namen »Maria Margareta« als norwegisches Schiff mit dem Heimathafen Kristiansand registrieren ließ. Als Besitzer wurde ein norwegischer Seemann namens Peder Ellefsen eingetragen. Er war es auch, der die kostbare Ladung in mehreren Lieferungen von Paris nach Le Havre brachte und im Haus von Mr. Wheatcraft, also bei den Imlays, erst einmal lagerte. Sie bestand aus Silber – Silbergeräte und Silberbarren – aus ehemaligem Kirchen- und Adelsbesitz. Nach den Schiffspapieren freilich hatte die »Maria Margareta« nur Ballast geladen. Um sie auf die Reise schicken zu können, fehlte Imlay noch die Genehmigung der zuständigen Behörde, und die ließ auf sich warten.
Am 7. Prairial (26. Mai) wird dekretiert, daß im Krieg gegen England künftig keine Gefangene mehr gemacht werden dürfen.
Am 10. Prairial (29. Mai) wird die Göttin der Vernunft wieder aus den Kirchen vertrieben und die Rechristianisierung verschämt mit einem neuen Kult auf den Weg gebracht, der dem »Höchsten Wesen« geweiht ist.
»Darfst lieber Gott, nun wieder sein,
So wills der Schach der Franken.
Laß flugs durch ein paar Engelein
Dich schön bei ihm bedanken«,
spottet der Elsässer Pädagoge und Schriftsteller Gottlieb Konrad Pfeffel.
Am 22. Prairial (10. Juni) verabschiedet der Wohlfahrtsausschuß ein neues Gesetz gegen die Feinde des Vaterlandes. Wer wegen unpatriotischer, zersetzender Äußerungen oder der Verbreitung falscher Gerüchte vor das Revolutionsgericht gebracht wird, darf weder Zeugen noch einen Anwalt zu seiner Verteidigung aufbieten; das Gericht hat nur die Wahl zwischen Freispruch und Todesurteil. Aufschub wird nicht gewährt. Robespierre muß dem öffentlichen Ankläger nur einen Namen nennen, und am nächsten Tag ist der Betreffende ein toter Mann.
Die wirtschaftliche Lage bleibt desolat. Lebensmittel sind knapp, teuer und von schlechter Qualität. Imlay ist krank und schlecht gelaunt, weil das Silberschiff immer noch im Hafen liegt. »Es geht mir sehr gut, und mein kleines Mädchen ist nicht nur ungewöhnlich gesund, sondern so klug wie ein fünf oder sechs Monate altes Kind, was ich eher meiner guten, das heißt natürlichen Art, es zu stillen, zuschreiben möchte, als irgendwelchen angeborenen außerordentlichen Fähigkeiten«, schreibt Mary am 8. Juli an Ruth Barlow. »Sie hat noch nichts anderes als meine Milch gekostet, wovon ich seit der Geburt reichlich habe, aber da ich in ein oder zwei Monaten anfangen will, ihr das Essen beizubringen, bitte ich Sie, mir wenn möglich mehr von diesen feinen Keksen zu schicken, denn das Brot, das hiernormalerweise hergestellt wird, ist schlechter als je zuvor, und vom guten bekomme ich nichts mehr.
Mr. Imlay ist seit einigen Wochen unwohl, und seit ein paar Tagen leidet er ernsthaft an Fieber. Er ist von den ständigen Enttäuschungen angegriffen – Schiffe bleiben aus, und die Regierung legt dem Handel dauernd neue Hindernisse in den Weg. Ich kann nicht anders, ich muß seine Unruhe teilen, weil es mir wichtiger erscheint, Verpflichtungen zu erfüllen, als ein Vermögen zu machen. Vom Stand der Dinge hier und dem Dekret gegen die Engländer will ich gar nicht reden – die Franzosen werden
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