Auf Forsters Canapé: Liebe in Zeiten der Revolution (German Edition)
verbreiten würde, der verderblicher ist als der des Avernus [ 4 ] , obwohl sie uns so oft mit Melodien entzückte, die so sanft waren wie die Seufzer des Zephyrs, so köstlich wie Paradiesesluft?«
So jung war Helen Maria Williams nach damaligen Vorstellungen eigentlich gar nicht mehr – nämlich Ende Zwanzig –, als sie sich der Französischen Revolution in die Arme warf, aber ihre Gedichte und ihr Auftreten waren so jungmädchenhaft, daß man sich über das wahre Alter der Verfasserin schon täuschen konnte, die sich selbst gern jünger schwindelte. Bei ihrer Einbürgerung in Frankreich verschob sie ihr Geburtsdatum, den 17. Juni 1761, gleich um acht Jahre auf 1769. Aber was heißt schon wahres Alter? Und hätte Helens Kritiker ihre Gedichte aufmerksamer gelesen, hätte ihm auffallen können, daß sie sich keineswegs gewandelt hatte. Sie war einfach nur ihren Weg weitergegangen.
In ihren Adern floß das Blut von Kriegern, Glaubenskämpfern und Rebellen. Ihre Mutter stammte aus dem einflußreichen schottischen Clan der Hay of Naughton, der sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen läßt. Das Familienheiligtum war das blau-weiß-rote Banner der Covenanters, der schottischen Presbyterianer, unter dem Vorfahren im ersten englischen Bürgerkrieg »für die protestantische Religion und für die Freiheit« gekämpft hatten, auf der Seite der englischen Parlamentspartei und gegen König Charles I , der nach dem Sieg der Republikaner unter Cromwell vor Gericht gestellt und exekutiert wurde, 144 Jahre vor Ludwig XVI .
Die Williams, Helens Vorfahren väterlicherseits, kamen aus Wales, also ebenfalls aus einem keltischen Teil Großbritanniens mit ausgeprägter Eigenart. Sie waren besonders stolz auf einen Erzbischof von York aus dem 16. Jahrhundert und eine hugenottische Ahnfrau, die nach der Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes nach England geflohen war. Helens Vater, Charles Williams, machte, wie schon sein Vater, in der Armee Karriere und verbrachte viele Jahre in britischen Besitzungen im Ausland, zuletzt auf Menorca, einem strategisch wichtigen Stützpunkt im Mittelmeer, das 1713 an England gefallen war. Doch 1756, zu Beginn des Siebenjährigen Kriegs, der zwischen Preußen und England auf der einen Seite, Österreich, Frankreich und Rußland auf der anderen Seite auf drei Kontinenten ausgetragen wurde, wurde die Insel von den Franzosen erobert –eine nationale Schande, zumindest für die englische Presse. Immerhin war es Charles Williams gelungen, eine beträchtliche Geldsumme in die Heimat zu retten, wofür er eine angemessene Belohnung forderte.
Im Sommer 1758, zwei Jahre nach dem Debakel, heiratete er in der Kirche St Martin-in-the-Fields in Westminster Helen Hay, die Schwester eines Regimentskameraden. Es war seine zweite Ehe, in die er eine fünfzehnjährige Tochter mit dem ungewöhnlichen Namen Persis mitbrachte. Sie dauerte nur viereinhalb Jahre, in denen noch zwei Töchter geboren wurden, Helen und Cecilia. Cecilias Geburtsdatum ist allerdings nicht bekannt, Helens Biographen vermuten, daß sie ein oder zwei Jahre älter war als Helen, sicher ist das nicht. Gegen diese Annahme spricht besonders die Namensgebung: Gewöhnlich wurde das erste Kind nach dem Vater oder der Mutter getauft. Möglich ist auch, daß Mrs. Williams mit Cecilia schwanger war, als ihr Mann starb.
Nach seinem Tod verließ sie London und zog in den heimatlichen Norden zurück, wahrscheinlich zu ihrem Vater, einem abgedankten Offizier. Sie konnten von der Hinterlassenschaft von Charles Williams leben, reich waren sie nicht. Um so wichtiger wird es der Mutter gewesen sein, ihren Töchtern Stolz auf die Familiengeschichte einzuimpfen, und der alte Mr. Hay wird ihr dabei geholfen haben. Helen hat ihn zärtlich geliebt. In seinen guten Stunden sang er ihr patriotische Lieder vor und erzählte ihr von den Schlachten, an denen er im Siebenjährigen Krieg in Deutschland teilgenommen hatte. Er »zeigte ihr, wie man siegt«.
Das Internet ist schon eine großartige Sache, manchmal. Ein Mausklick – und man ist in Berwick-upon-Tweed, einem Städtchen an der Grenze zu Schottland, und kann mit einem historischen Stadtrundgang durch den Ort beginnen, in dem Helen ihre Kindheit und Jugend verbrachte. Ein Kriegstheater! In den jahrhundertelangen blutigen Grenzkriegen zwischen England und Schottland war Berwick von großer strategischer Bedeutung und hart umkämpft gewesen. Keine andere Stadt derWelt (mit Ausnahme von Jerusalem) wurde so
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