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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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ein. Der Tee dampfte. Der Regen trommelte weiter mit ununterbrochener Gleichförmigkeit aufs Dach.
    Herzl sagte: »Weißt du, beim ersten Mal, als ich dich hier gesehen hab, bist du mir echt so was von bekannt vorgekommen.« Gabi hob den Blick. Sie sahen einander eine lange Weile an, braune Augen kreuzten sich in der kalten Luft.
    »Wirklich?«, sagte Gabi.
    »Hast du mal bei Jerusalem, in Mevasseret oder so gewohnt?«
    Gabi schüttelte den Kopf. Warum lag Spannung in der Luft? Vielleicht hatten es die Augen vor dem Verstand begriffen und sandten Signale in die Luft aus. »Ich bin im Oberen Galil aufgewachsen, im Kibbuz. Warst du vielleicht mal …?«
    Herzls Kopf bewegte sich von einer Seite auf die andere. Ein halbes Lächeln bildete sich in seinem Mundwinkel. Dann hob er seine Tasse hoch und trank mit einem Geräusch, das durch ein Zusammenwirken von Zunge, Lippen, Flüssigkeit und Luft entstand und dazu bestimmt war, die heiße Flüssigkeit auf dem Weg in den Rachen zu kühlen. Als Gabi in den Vereinigten Staaten gewohnt hatte, hatte ihm ein asiatischer Spender einmal von der Kunst des Suppentrinkens im Fernen Osten erzählt. Er nahm ihn in ein authentisches chinesisches Restaurant mit und sagte: »Hören Sie zu.« Gabi hörte zu. Ein Meer von Schlürfgeräuschen umgab ihn, und als er sich umschaute, konnte er die Technik beobachten, das Zusammenziehen der Lippen, wodurch ein enger Kanal erzeugt wurde, das Sammeln der Luft und Hineinschlürfen der Suppe. In einem westlichen Lokal wurde das als unhöflich, vulgär angesehen. Doch als Gabi ein Taschentuch herauszog und sich laut die Nase putzte, bedachten ihn die Chinesen mit einem angeekelten Blick. Jede Kultur definiert ihre Vulgarität auf eigene Art.
    »Wo warst du in der Armee?«, fragte Herzl, und gleich darauf weiteten sich Gabis Pupillen, ein dünner Schleier überzog seine Augen, ein paar Tropfen Tee gerieten ihm in die falsche Kehle, er hustete wild und senkte den Kopf. Ja. Er erkannte ihn. Klar. Allmächtiger. Allmächtiger Gott. Ein sehendes Auge und ein hörendes Ohr, die macht beides der Herr. Er schloss die Augen und sagte in seinem Herzen, Allmächtiger, Mann, du stellst mich auf die Probe, du hast ihn zu mir geschickt, was soll ich machen, o Herr. Der Hustenanfall legte sich, und er öffnete die Augen, und Herzl Weizmann blickt ihn lächelnd an, neigte den Kopf und fragte: »Was?« Dann zog er eine Schachtel LM Light heraus, entnahm ihr eine Zigarette und ein Feuerzeug, und in der Rauchwolke, mit zusammengekniffenen Augen, fuhr er fort: »Alles in Ordnung, mein Bruder?«
    Ich konnte nicht schlafen. Ich machte den Spind von Misch’ali auf und holte zwei glatte, große Schockgranaten heraus, braun-violett wie Auberginen. Die Köche waren Tiere, keine Menschen. Ich erkannte das Zimmer, zog eine große, schwere Holzbank heran, um die Tür zu blockieren. Dann ging ich außen herum, fand das Fenster, und es gelang mir, es aufzumachen. Ich entfernte die Sicherungen, streckte die Hände ins Innere, ließ die Granaten los, machte das Fenster zu und schoss wie der Blitz in mein warmes Bett, wobei ich auf dem Weg die gewaltige Detonation hörte …
    Gabi signalisierte, alles in Ordnung, nur ein plötzlicher Hustenanfall, die falsche Röhre. Weizmann sog an der Zigarette, betrachtete ihn und fragte: »Also, wo warst du in der Armee?«
    Gabi antwortete rasch: »Bei den Golanis.«
    Doch er spürte unfehlbar, er wusste, dass Herzl sich in Kürze erinnern würde. Er wartete, sagte im Kopf zu Gott, dass er bereit sei, er solle ihm geben, was er verdiente, wandte seine Augen zum Fenster und spürte Herzls Blick. Wieso hatte er sich nicht sofort erinnert? Herzl, einer der Köche, die sich geweigert hatten, spätabends Essen zu machen, die seinem Kommandeur ins Gesicht gelacht und ihn geschlagen hatten. Die in ihrem warmen Zimmer seelenruhig geschlafen hatten, bis die Schockgranaten sie in die Gefilde von Trauma und Panik und ins Krankenhaus befördert hatten. Er wartete schicksalsergeben, doch Herzl sagte nur: »Komm, mein Bruder, wir arbeiten weiter.«
    Der Regen beruhigte sich, und sie gingen nach draußen, um die Steinverkleidung der Synagoge zu überprüfen. Zusätzlich zu dem behauenen gelblichen Jerusalemer Stein hatte Herzl zwischen Stein und Gipswänden eine Schicht Holzplatten eingefügt, um die Isolierung zu verbessern. Herzl trat einen Schritt zurück und betrachtete stolz sein Werk. »Das hat mal wie zwei Wohnwagen ausgeschaut, eh?«, lachte er. Die

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