Auf fremdem Land - Roman
geweint, ›Papa, Papa‹, aber die hatten kein Herz, die haben mich auf dem Boden liegenlassen, Säure über mich geschüttet, die mir Löcher in die Kleider gebrannt hat und mir die rechte Wimper und Augenbraue weiß gemacht hat – hier, da, siehst du?« Als ob er das zeigen musste. »Ein Glück, dass ich das Auge ganz fest zugelassen hab und das Zeug nicht ins Auge rein ist, ich wär blind geworden. Ich erinnere mich fast nicht, wie ich ins Krankenhaus gekommen bin, ich erinnere mich an kaum was, aber der Gips, der ist offenbar permanent.« Er blickte auf seine Arme, stellte sie zur Schau, und seine Augen wanderten zu der großen Armbanduhr, die sein Handgelenk genau am Gipsrand umschloss. »Wow, wow, schon vier, ich muss los, bevor es dunkel wird, komm her, Mann.« Er zog einen ansehnlichen Packen Geldscheine aus der Tasche und begann langsam Hunderter abzuzählen.
»Nein«, sagte Gabi mit schwacher Stimme und legte seine Hand auf die Hand mit den Scheinen. »Für Arbeiten in der Synagoge will ich kein Geld. Das ist Dienst am Heiligtum.«
Draußen standen sie in ihren Jacken voreinander. Der Bommel von Gabis weißer Rabbi-Nachman-Kipa, der vielgeliebte Na-Nach-Nachma-Nachman-aus-Uman auf den Stickern und Aufklebern, schien im Wind fast strammzustehen. Herzl umarmte ihn, und Gabi tat zögernd das Gleiche. »Du bist ein guter Junge«, sagte Herzl, und Gabi blieben die Worte im Hals stecken. Jetzt fasste ihn Herzl an den Schultern und grub seinen Blick in ihn hinein. Zwei Männer auf einem Hügel im Regen. Gabi brachte es nicht fertig, schlicht und einfach nicht fertig, ich enttäusche dich, Herr, flüsterte er seinem Gott aus seinem feigen Herzen zu, ich enttäusche dich, verzeih mir, leite mich, und Herzl näherte sein Gesicht, Gabi spürte, wie sein Atem über die Haut seines Gesichts und die Barthaare strich, während der Generalsanierer mit leiser und harter, schroffer Stimme sagte: »Ich hab mir geschworen, mich zu rächen, Mann. Aber du bist wirklich ein guter Junge. Du hast zur Religion zurückgefunden, du hast dich wirklich bekehrt, du glaubst. Du hast deine Taten gebüßt. Auch ich hab so einiges gemacht, gelobt sei der Herr.« Herzl drückte Gabis Gesicht zwischen seine rauen Handflächen, fühlte den schütteren Bart, die blasse Haut. Er gab ihm einen Kuss auf jede Backe und umarmte ihn noch einmal.
»Ich habe gesündigt«, sagte Gabi. »Ich bin ohne Heilung.«
»Es gibt immer eine Besserung. Auch ich hab gesündigt, Gavriel, mein Bruder. Ich hab euch kein Essen gemacht.«
»Verzeih.«
»Ich hab verziehen, Zaddik, ich hab verziehen.«
Und damit beendete Herzl seine Umarmung, stieg in sein Geländefahrzeug, drehte den Schlüssel um und ließ den Motor ein paar Mal aufheulen. Gabi blieb mit den Händen in den Taschen stehen, ihm war kalt, doch in seinem Herzen brannte ein lichterlohes Feuer. Der Wagen fuhr los, Gabi wandte sich ab und ging langsam zu seinem Zimmer. Gleich würde es dunkeln. Er würde sich einen Tee machen. Etwas zu essen. Abendgebet. Danke, Herr, du hast mir geholfen, du hast mich behütet. Danke, dass du mir Herzl Weizmann, den Zaddik, geschickt hast. Ich bin dein Sohn.
Die Tränen kamen, überspülten ihn. Er war glücklich.
Die Marranos
Während Gabi auf den Lichtwellen der Vergebung zu seinem Haus schwebte, machte Joni einen Routinerundgang auf der Ringstraße. Er stand vor seiner Entlassung, nächste Woche war es so weit. Was er tun würde, wusste er nicht. Er überlegte, einen Beruf zu erlernen, mit einem der Kurse, die das Wohlfahrtsamt ausgemusterten Soldaten anbot – er hatte eine Werbung auf der Militärwelle im Radio gehört, und einer der Berufe, die erwähnt wurden, hatte ihm gefallen, doch als er jetzt die pelzbesetzte Kapuze seiner Montur über seinen kleinen Kopf zog, gelang es ihm nicht, sich an den Beruf zu erinnern. Seine Ray-Ban-Brille steckte zusammengeklappt in der vorderen Tasche des Overalls, ein Bügel ragte heraus.
Er würde sich nach dieser Stille sehnen, wenn er auf einer belebten Straße in Netanja mit seinem besten Freund Ababa Kohen sitzen würde. Sowohl nach der Stille als auch nach dem Durcheinander. Auch nach den Abenden und auch nach den Siedlern. Sogar nach denen, die ihn anschrien – Otniel und Neta Hirschson. Und nach Gittit natürlich. Nach ihr sehnte er sich jetzt schon, seit man sie in die religiöse Mädchenschule in Schomron geschickt hatte. Er warf einen traurigen Blick in Richtung des Wohnwagens ihrer Eltern. Ja, in Netanja würde
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