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Auf fremdem Land - Roman

Auf fremdem Land - Roman

Titel: Auf fremdem Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Synagoge wirkte nun wie ein richtiges Steingebäude, mit starken Mauern und beeindruckendem Dach. »Du bist ein Zaddik«, sagte Gabi und glaubte von ganzem Herzen daran – Dienst am Heiligtum ist es, zu bauen und zu schmücken den Tempel des Gebets –, doch in seinem Inneren tobte ein Sturm, und er führte eine fieberhafte Debatte mit seinem Gott, was er tun sollte.
    Sie rührten Zement in der manuellen Betonmischmaschine an und vervollständigten die letzte Wand. Gabi reichte die Steine und rührte den Zement, Herzl setzte sie, vermörtelte und säuberte sie und klopfte mit dem Holzhammer darauf. Stück für Stück kamen sie etwas ins Reden. Herzl erzählte Gabi von seinem Leben. Er war zweimal geschieden. Beim zweiten Mal hatte sich seine Frau sehr unschön benommen. »Ich will nicht in die Einzelheiten gehen, du bist ein gläubiger Mensch, du musst solche Sachen nicht hören, aber sehr, sehr unschön.« Als Herzl entdeckte, wie sie sich benahm, hatte er einen Koffer gepackt, war in den Zug gestiegen und zu der Grundschule gefahren, in der sein Sohn in der dritten Klasse war, hatte die Pause abgewartet, sich seinen Sohn gegriffen, ihm gesagt, er solle seine Tasche holen, sie würden einen Ausflug machen. »Brüderchen, ich hatte keine Chance«, seufzte Herzl.
    »Keine Chance wozu?«, fragte Gabi.
    Der Regen fing wieder an, und Herzl sagte: »Komm, wir gehn schnell wieder rein.«
    Er setzte noch einmal Wasser auf dem Gaskocher auf. »Was für ein Wetterchen, bei allen Heiligen«, lächelte er und goss ein Glas Tee für Gabi auf. »Was ist mit dir? Zum Glauben bekehrt?« Gabi nickte, und Herzl sagte: »Man sieht’s dir an.« Gabi wollte wissen, was man ihm ansah, doch in dem Augenblick war ein Klopfen an der Tür zu hören. Die beiden Männer wandten den Kopf und sahen eine hochgewachsene, blonde Frau mit großem Busen, die das Gebetshaus betrat.
    »Ich sehe euch jeden Tag arbeiten im starken Regen. Menschen mit goldenem Herz. Ist etwas zu essen verdient, ja?« Jenia Freud trug ein Tablett, auf dem sich zwei belegte Brote und zwei Stück Apfelkuchen befanden, und auf ihren Lippen lag ein entschuldigendes Lächeln.
    »Jenia, danke! Du bist eine Zaddika, das kannst du mir glauben«, rief Herzl aus und stellte das Tablett auf dem Steinblock ab, der ihnen als Teetisch diente. »Grad hab ich dran gedacht, einen Abstecher in den Laden zu machen und was zu besorgen.«
    »Nein, wieso denn fahren, in solchem Regen … esst, esst. Fleischig ist in Ordnung?«
    Gabi lächelte schmal und sagte: »Danke, Zaddika.«
    Sie ging, Gabi segnete das Essen, und sie aßen die mit Pastrami belegten Brote. Gabi erzählte, wie Jenia das Vertrauen der Hügelbewohner von Neuem gewonnen hatte, nachdem sie als Maulwurf des Schabak entlarvt worden war. Herzl fand, dass sie es klug angestellt hatte. Mit einer Entschuldigungstour von Haus zu Haus hatte sie unter Tränen und Flehen auf die Gefühle gesetzt, hatte die Verantwortung auf den Geheimdienst abgewälzt, der Kapital aus ihr geschlagen und ihre Naivität ausgenutzt habe, und hatte sich seither mit Hilfe großzügiger Wohltaten wie gerade eben Sympathie erworben.
    »Wer will schon was Böses zu ihr sagen, wenn sie sich so brav benimmt?«
    »Es gibt hier genug Leute, die etwas Böses sagen, keine Sorge«, erwiderte Gabi. »Sie haben gesagt, dass sie gehen muss. Dass sie sie schon immer in Verdacht hatten. Dass sie außerdem bestimmt eine Schickse ist, du weißt schon, wegen der Größe und den Haaren …«
    »Ja, und wegen den … wie hat sie es dann geschafft zu bleiben?«
    »Otniel. Seine Entscheidung. Und ich denke, auch deswegen, weil Elazar Freud, ihr Mann, ihr verziehen hat, also haben sich die Leute ihm angeschlossen. Sie wollen keinen Krieg. Da hat sie eben mal einen Fehler gemacht, nu.«
    »Sag mal, weißt du, wie man den Fehler von jemandem nennt, dessen Name Freud ist, eh?« Ein törichtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er mit seinen farblosen Wimpern zu Gabi linste. »Ein Freudscher Fehler!«, jubelte er dann, hochzufrieden mit sich.
    Gabi spürte sein Herz immer noch im Hals pochen. Er aß sein belegtes Brot auf und sagte während der letzten Bissen zu Herzl: »Arbeiten wir weiter?«
    »Moment, ganz langsam, mein Bruder. Wir rauchen eine Zigarette. Wir gehen austreten. Du kannst mincha beten, wenn du willst.«
    Erst am Abend, in seinem Zimmer, vor dem Schlafengehen, während er in eine Essiggurke aus der Dose biss, würde Gabi in der Rückschau

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