Auf Inseln (German Edition)
Wahn und Paranoia in irgendeiner Weise süchtig? Mir war schon klar, dass die subtile Wirkung von Geschlechtshormonen mich zum Wiederholungstäter machen wollte. Ein Besuch der Messe von Sankt Magdalena würde mir den Rest geben. Ich würde auf die weißen Röckchen der Messdienerinnen starren, auf die Ausschnitte, auf ihre roten Lippen und freien Haaren, auf ihre, Gott und dem Priester gewidmeten, devoten Bewegungen. Ich hätte nicht genug Kraft, mich in ein Gebet zu vertiefen, in ein wahres Gebet, denn meine Gebete hatten eine andere Zielrichtung, würde bei den Huren landen und ihrem süßen Cannabis. Das benebelnde Rauschgift war nicht trennbar mit den nackten, provozierenden Brüsten der Dealerin verbunden. Die Messdienerinnen von Sankt Magdalena und ihr Weihrauch waren das Vorspiel für Cannabisduft, Brüsten und allen anderen Mysterien des weiblichen Körpers. Der Gedanke, an den Experimenten mit den Aborigines teilzunehmen, war nur ein weiteres Manöver, Vorwand, um den gestrigen Abend zu wiederholen und zu vertiefen, weiterzuentwickeln in all seiner Konsequenz. Ich würde Katharina hörig werden. Ich zündete mir eine Zigarette an, formte eine Antithese: der Wunsch nach einem kühlen Bier. Ich fand einen Laden mit gekühltem Vorrat, setzte die kleine Flasche an den Hals und trank gierig, als ob es um mein Leben ging. Mit dem Anwenden der Gentechnik mochten die Menschen aufgegeben haben, Menschen zu sein. Würden die Menschen nun beginnen, Psi zu beherrschen, wären sie auch keine Menschen mehr, vielleicht dann nicht so radikal verändert wie die Wesen, die die Kräfte der Gentechnik freigesetzt hatten. Ich veränderte meine Richtung hin zu meiner Wohnung, die gut einen Kilometer von meinem jetzigen Standpunkt entfernt war. So wie ich meine Umwelt aufnahm, in einer zwar ruhigen, aber gesteigerten paranoiden Art, sagte mir, dass die Droge noch in meinem Blut kreiste. Die Blicke der Menschen besagten, dass man um mich wusste, aber das konnte eigentlich nicht sein, denn sie waren gemein nicht psibegabt, wie ich wusste. Vielleicht wurden sie es unbewusst gewahr, wenn man verbotene Drogen genommen hatte. Sie schauten besorgt und wissend, aber es war kein Psi, sondern nur mein leichter Wahn, der mir die Realität so erscheinen ließ. Zu Hause angekommen gönnte ich mir ein zweites Bier, welches ich auch hastig trank. Danach gab ich mir die Dusche, mit der Absicht, klarere Gedanken zu entwickeln. Stattdessen formte sich bei mir der Wunsch zu masturbieren, Katharina und andere verbotene Früchte vor Augen. Ich drehte die Kaltwasserzufuhr weiter auf und konnte so diesem sinnlosen Spiel entkommen. Das kühle Wasser bewegte meine Gedanken tatsächlich in eine andere Richtung, zuerst in eine entspannende Gedankenlosigkeit. Ganz kalt stellen wollte ich das Wasser aber nicht, vermutlich auch, weil ich nicht das subjektive Gefühl bekommen wollte, gänzlich aufzuwachen. Nach der Dusche fühlte ich mich gut, ohne Pläne für die nähere Zukunft zu haben. Etwas argwöhnisch betrachtete ich das Döschen mit dem Krümel , meine gestörte Realität schien sich wieder einstellen zu wollen. Ich dachte an mein grundsätzliches Problem. In der letzten Zeit vermochte ich nicht mehr als ziellos durch die Gegend zu streifen, mich mehr oder weniger zu betrinken, alleine und mit Freunden. Mein Leben war mir auch ohne Cannabis völlig entglitten. Gelegenheitsjobs und Erspartes hielten mich so gerade über Wasser. Ich hatte keinerlei Perspektive, wie ich meinen alten Beruf wieder aufnehmen konnte. War ich wirklich ein Staatsfeind? Wurde ich auf schwarzen Listen geführt und war ich mit einem endgültigen Berufsverbot versehen? Kannten die Klerikalen keine Gnade? Ich hatte mich nie bemüht, verstärkt Reue zu zeigen, öffentlich beim gütigen Vater um Verzeihung zu bitten. Mein Wissen wurde gebraucht redete ich mir ein, oder versuchte man nun unsere Geschichte völlig zu verdrängen? Ich t at nicht viel, um aus meiner Misere zu entkommen. Ich hätte an die entsprechenden Stellen schreiben können, um den Staat, die Gesellschaft zu überzeugen, dass ich ein fähiges, treues, wenn auch offensichtlich scheinheiliges Mitglied der Gesellschaft war. Wer war denn nicht scheinheilig? Man schätzte mich als begabt genug ein, um mir eine Umschulung zukommen zu lassen, wenn mein alter Beruf nicht mehr gebraucht wurde. Statt dieser Bemühungen trieb ich mich in einer Halbwelt herum, hatte Kontakt zu fragwürdigen Subjekten und Kriminellen. Der Gedanke,
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