Auf Inseln (German Edition)
haben. Belustigt fragte ich mich immer wieder, welche die Wahre gewesen sein mochte. Wer wollte dies verifizieren. Hier in New Avignon gab es nur eine, totalitäre Kirche, keine Abspaltungen, keine Sekten, auch wenn die Liturgie nicht einheitlich war. Dies war trotz aller Verfolgung seitens der Theokratie erstaunlich. Es gab doch immer irgendwelche Besserwisser und anderweitig Erleuchtete mit neuen, nicht verifizierbaren Erkenntnissen. Womöglich war der Stich einer Avignonwespe nicht sonderlich erleuchtend. Die verschiedenen Rassen, die es auf der Erde gegeben haben musste, hatten sich hier völlig vermischt, hier und da gab es einen dunkleren und helleren Typ, mit kaum asiatischen Einschlag, da der Exodus in der sogenannten Neuen Welt, in Amerika organisiert worden war. Mindestens zwanzig Laubbaumarten hier in New Avignon stammten von der Erde. Dennoch, dies war nicht die Erde. Wenn sich jemand darüber in vollem Ausmaß bewusst sein konnte, so war ich das. Die Erde vor dreißigtausend Jahre, der Zeitpunkt als der Exodus begann, wäre für uns ein exotischer, sehr vielfältiger Platz gewesen, unermesslich vielfältig. Diese Welt mochte auch sehr vielfältig sein, aber sie war – noch nicht – für uns nicht bewohnbar, weil für uns jenseits der beiden Inseln der Wahnsinn wartete, in Form von vermutlich friedliebenden Aborigines, die eine zukünftige Theokratie oder ein zukünftiger Sozialismus ausrotten würden. Ich mochte nicht Zeuge davon werden. Diese Welt bot endlose Geheimnisse: es schien so, dass wir in New Avignon sicher waren, womöglich aber überall sonst der Untergang lauerte. Was ging auf Aurelia vor? In Gedanken versunken, zündete ich mir eine zweite Zigarette an, selbst drei Passantinnen, züchtig gekleidet mit schwarzen Kopftüchern, rissen mich nicht aus meiner Stimmung. Es war seltsam, wie ähnlich unsere beide Welten waren und doch so verschieden. Die von den Klerikalen verordnete Monokultur stand schon im Gegensatz zur kulturellen Vielfalt auf der Erde. Technologie und ein globaler Kapitalismus mussten allerdings damals auch als eine Bedrohung für die Artenvielfalt im Allgemeinen angesehen worden sein. Ein Teil der Vielfalt war durch eine praktische Isolation entstanden, die durch Technologie und weltweites Wirtschaften aufgehoben wurde. Ein aufkommender Hunger besann mich darauf, den Ort meiner Bestimmung für diesen Abend, aufzusuchen. Schnitzel mit Bratkartoffeln konnte ich fast jeden Tag essen. „Die Gemütliche Ecke“ war einen guten Kilometer von der Kathedrale Sankt Magdalena entfernt. Selbst das Essen war so ähnlich wie das, das es auf der Erde gegeben haben musste mit ähnlichen Namen. Nicht zuletzt hatte ich Durst auf kühles Bier, Lust auf Weib und Gesang. Mit jedem Schritt, den ich mich von Sankt Magdalena entfernte, wurde die Gegend ärmlicher. Als ich in der „Gemütlichen Ecke“ eintraf, waren Peter und Paul schon anwesend, in ein Gespräch vertieft. Die Dealerin konnte ich nirgends entdecken, aber vielleicht trieb sie ihr Geschäft in einem der hinteren Zimmer. Ich setzte mich zu den beiden, wurde freundschaftlich begrüßt, zündete mir eine Zigarette an und wartete auf einer Gelegenheit bei Margarete meine Bestellung abzugeben. Ich wollte Gulasch, feurig scharf und natürlich ein Bier. Ich hörte nicht hin, worüber Peter und Paul sich unterhielten, war selbst in Gedanken und zum ersten Mal seit der Messe stärker abgelenkt durch Frauen. Vergessen die Show der acht weiß gekleideten jungen Damen, vergessen der Moment, in dem ich von einer die Hostie bekommen hatte, den Leib Gottes. Margarete hatte mich erblickt, guckte mich irgendwie freundlich wissend an und merkte sich meine Wünsche. Ein feurig scharfer Gulasch musste es sein. Paul erzählte, dass er sich für das Programm beworben hätte. Es gäbe kaum Einstellungsvoraussetzungen, meinte er zu mir. Wollte er in Gegenwart der Aborigines gegen sich selbst Go spielen oder womöglich, im Wahn, es den kleinen Kerlen beibringen? „Eine durchaus interessante Erfahrung und die Bezahlung ist gut!“ Ich fragte mich, wie er erlebten Wahn als durchaus interessante Erfahrung bezeichnen konnte. Es war eine Furcht einflößende Erfahrung, die das Ich auflöste, die womöglich einen Teil des Ichs erhalten ließ, damit dieser hilfloser Zeuge der Deformation werden konnte, verängstigt und machtlos. „Ich habe Katharina zufällig getroffen. Sie wollte hier vorbei kommen. Sie will vermutlich dort fortsetzen, wo wir gestern
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