Auf nassen Straßen
umarmen, aber eine heftige Handbewegung des Alten hinderte ihn daran. Das Gesicht Peter Baumgarts war hart wie Stein, und es wurde noch zerfurchter, als sein Blick auf Betty fiel, die in ihrem Pelzmantel unter der Brücke stand und von einem Scheinwerfer wie auf einer Bühne angestrahlt wurde.
»Wo kann ich dich sprechen?« fragte er Jochen mit harter Stimme.
»In meiner Kabine!«
In der Kapitänskajüte – es roch nach Bunzels Fusel – bot Jochen dem Alten einen Stuhl an. Er selbst blieb stehen.
»Bitte«, sagte er knapp. »Was ist?«
»Die Polizei ist hinter dir her!«
Für Jochen Baumgart war es wie ein Schlag gegen den Schädel.
»Die Polizei?« wiederholte er, als begreife er nicht.
»Ja! Sie suchen alle Binnengewässer ab! Sie sperren alle Grenzen! Noch kennt man den Namen des Schiffes nicht … Aber ich weiß, daß du es bist!«
»Daß ich es bin?« Jochen lächelte verzerrt. »Wie meinst du das, Vater? Wenn man mich sucht, muß man doch auch den Namen des Schiffes kennen!«
»Man sucht das Schiff, auf dem für über eine Million Rauschgifte und Medikamente ins Ausland schwimmen! Und mit dieser Million die Braut des Gangsterchefs. Sie nennt sich Betty Kahrmayr!«
Vor Jochen Baumgart drehte sich die Kajüte. Er umklammerte einen Schrank, der neben ihm stand, wie einen Rettungsring.
»Das ist doch nicht wahr …«, stammelte er.
Jochen Baumgart setzte sich schwer. Er sah über seinen Vater hinweg zu dem großen Bullauge hinaus.
Der Alte räusperte sich. »Du fährst also sofort nach Mainz!«
»Ich kontrolliere erst die Ladung. Ich will es selbst sehen! Und dann spreche ich mit Betty.«
Jochen verließ stumm die Kajüte.
Auf der Treppe traf Jochen Karl Bunzel, der mit dem Ungarn sprach. Als sie Baumgart kommen sahen, schwiegen sie und gingen auseinander.
»Mister –«, sagte Bunzel stockend. Jochen winkte ab.
»Ich weiß! Mein Vater hat mir alles erzählt! Wir sind zu Schmugglern geworden.«
»Gehen wir in die Laderäume.«
»Da war ich schon. Fast jeder Stamm ist angebohrt und hat diese Metallkapseln in sich.« Er griff in die Tasche seiner weiten Schifferhose und zog eine kleine, blinkende Metallhülse hervor. Sie war leicht, und der Deckel war mit Wachs verschlossen. »Ich habe nicht gewagt, sie aufzumachen. Vielleicht ist Gift darin.«
Jochen nahm die kleine Kapsel. Er schabte mit dem Daumennagel das Wachs ab und drehte den Deckel auf. Zwei kleine Ampullen, in Watte gelagert, fielen auf seine Handfläche. Sie trugen keine Aufschrift oder Bezeichnung. Die Flüssigkeit in ihnen war farblos.
»Wir fahren sofort nach Mainz zur Polizei.«
»Zu Befehl. Mister.« Über Bunzels Gesicht zuckte es. »Aber erst sollten Sie einmal nach Ihrem Bruder sehen.«
»Nach meinem …«
»Er ist drüben an Bord! Er hat die Nachricht gebracht und wurde von der ›Guter Weg‹ beim Versuch, das Schiff mit einem Boot zu erreichen, gerammt. Der Ungar sagte mir …«
Durch Jochen rann es eiskalt. Die stockende Sprache Bunzels, das schnelle Weggehen des Ungarn, als man ihn kommen sah, das Verschweigen der Kollision von Seiten des Vaters … »Was ist mit Hannes?« fragte Jochen laut.
»Er liegt drüben. Es geht ihm nicht gut. Innere Verletzungen!«
Mit ein paar Sätzen rannte Jochen über Deck und prallte auf dem Laufsteg auf Kümpchens, der hinüber zur ›Fidelitas‹ wollte.
»Was ist mit meinem Bruder?!« brüllte Jochen ihn an. Kümpchens hob die Schultern.
»Ich weiß nicht. Ich war noch nicht wieder hinten.«
Mit langen Sprüngen rannte Jochen über Deck und riß die Tür zu den Kabinenbauten auf. Im Schlafzimmer fand er die Mutter. Sie schlief und schluchzte im Schlaf. Mit Gewalt riß sich Jochen von diesem Bild los und stürmte weiter. In der Wohnkajüte war niemand, aber in der Schlafkabine von Hannes und Irene, die früher sein Zimmer gewesen war, fand er Hannes.
Er lag auf dem Rücken, die Hände seitlich herunterhängend, und schlief.
Aus seinem Mund war ein wenig Blut gelaufen und über das Kinn, den Hals hinab in den Hemdausschnitt geflossen.
Als er sich über den Körper beugte, sah er, daß das Blut schon geronnen war. Die Augen lagen tief in den Höhlen.
Jochens Gesicht wurde starr. Er sah Hannes genauer an, er beugte sich über ihn und legte seine Hand auf das blasse Gesicht des Bruders.
Es war kalt, eiskalt.
Jochens Hand zuckte zurück.
»Hannes!« rief er leise. Dann lauter, immer lauter. »Hannes! Hannes!«
Der Bruder war gestorben, um den Bruder zu retten.
Schwankend
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