Auf nassen Straßen
wollte – vor der Ladung, vor Willke, vor dir. Das ist nicht wiedergutzumachen … So viel wiegt keine Liebe, um das vergessen zu können.« Sein Kopf zuckte herum. Die Wildheit in seinen Augen ließ sie zurückweichen. Jetzt erkannte sie plötzlich den anderen Baumgart, den, von dem sie glaubte, es könne ihn nicht geben. Seine Mitleidlosigkeit machte sie vor Erschrecken willenlos, die Härte seines Blickes nagelte sie an ihrem Platz fest. »Ich verlange, daß du dich der Polizei stellst!«
»Ich dachte, du gibst mir die Möglichkeit, unterzutauchen«, sagte sie schwach.
»Ich verlange, daß du einmal im Leben anständig bist.«
Das Wort sprang sie an wie ein Schlag. Sie duckte sich. Über ihr Gesicht zuckten helle, rote Flecken.
»Hast du ein Recht dazu, von Anständigkeit zu sprechen?« schlug sie zurück. »Hast du nicht gesagt, daß du durch Skrupellosigkeit und Gemeinheit das geworden bist, was du heute darstellst?!« Ihre Stimme wuchs und überschlug sich dann grell. »Sollten wir uns nicht beide der Polizei stellen, mein Freund? Was glaubst du, wessen Aussage ekelhafter wäre? Sollte man nicht einmal nachprüfen, woher du dieses Schiff hast …«
Wortlos verließ Jochen Baumgart die Salonkajüte.
Das Ende, dachte er. Das ist das Ende. Eigentlich merkwürdig, daß ich es nie erwartet habe. Wer sein Haus auf Fließsand baut, muß damit rechnen, daß es eines Tages einsackt.
Er lehnte sich gegen die Reling und blickte über den nachtdunklen Rhein. Dort, wo die Scheinwerfer der ›Fidelitas‹ das Wasser beschienen, war es wie Silber.
Alles Betrug, dachte Jochen Baumgart. Das Wasser des Rheines ist schmutzig-gelb, manchmal blaugrün, aber nie silbern. Ist unser Leben anders? Wir wiegen uns im Schein der Lichter und glitzern – aber in Wahrheit sind wir schmutzig und grau.
Ein Gedanke kam ihm, der ihn festhielt und der Rettung bedeuten würde. Man konnte Generaldirektor Meerbach anrufen oder Direktor Schleggel. Wenn diese bezeugten, daß die ›Fidelitas‹ nicht Eigentum Jochen Baumgarts war, sondern nur ein ›Leihschiff‹, war die drohende Beschlagnahme aufgehoben.
Er sah auf seine Uhr. Vier Uhr morgens. Um zehn Uhr war Direktor Schleggel zu erreichen. Bis zehn Uhr mußte alles so bleiben, wie es war. Eine Frist von sechs Stunden, das war alles, was Baumgart sich wünschte. Wie doch die Wünsche zusammenschrumpfen, dachte er sarkastisch. Vor drei Stunden träumten wir noch von einer Villa am Rhein, von einer eigenen Rheinflotte, von einer Ehefrau und Kindern … Und jetzt hängt alles von lumpigen sechs Stunden ab, von einem Wort der Männer, die er ausgesaugt hatte wie ein Vampir.
Er stieß sich von der Reling ab und ging langsam zu seiner Kapitänskajüte zurück. Karl Bunzel stand oben am Geländer der Kommandobrücke. Er verhielt sich still und sorgte dafür, daß er nicht in das Blickfeld Baumgarts trat. Er wußte von dem Tod des Bruders und war dabei, seine Erschütterung mit Alkohol zu dämpfen.
Bei Jochens Eintritt in die Kapitänskajüte sah er den Vater noch immer im Sessel sitzen. Er rauchte eine von Jochens Zigarren und wandte den Kopf nun um, als er seinen Sohn eintreten hörte.
»Alles klar?«
»Ja, Vater.«
»Es ist schwer für dich – ich kann es begreifen.« Es war das erstemal, daß der alte Baumgart eine seelische Regung zeigte.
»Ich war bei Hannes«, sagte Jochen langsam.
Der Alte nickte. »Hat er dir erzählt, was er am Telefon erfahren hatte?«
»Nein.« Jochen sah zu Boden. Sein Gesicht verkrampfte sich. »Er schlief.«
»Es war eine aufregende Nacht für ihn. Erst das mit Irene und dann die Fahrt auf dem Rhein. Wir haben ihn gerammt – die Strömung war zu stark, wir konnten nicht ausweichen. Aber Gott sei Dank ist ihm nicht viel geschehen. Hat er noch Schmerzen in der Brust?«
»Nein, Vater. Hannes hat keine Schmerzen mehr.«
»Das ist gut. Sicherlich nur ein paar Prellungen …«
»Er hat sie überstanden, Vater.« In Jochens Hals würgte es. Die Stimme versagte.
Der alte Baumgart sah erstaunt zu ihm hinauf. »Hast du dich erkältet?«
»Nein.«
»Du sprichst so komisch.«
Jochen wandte sich ab und drehte sein Gesicht zur Wand. Plötzlich schüttelte Schluchzen seinen Körper.
Ein wenig verständnislos sah der alte Baumgart den Rücken seines Sohnes an. Er legte die Zigarre weg und erhob sich. Von hinten legte er die Hand auf Jochens Schulter. Dieser zuckte bei der Berührung zusammen.
»Es wird alles gut werden«, sagte der Alte. »Wenn man dir in
Weitere Kostenlose Bücher