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Auf nassen Straßen

Auf nassen Straßen

Titel: Auf nassen Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Zeitungen berichteten zwar darüber, aber es herrschte im Gerichtssaal nicht das Klima der ›großen Fälle‹.
    Die Aussagen Pierre Domaines retteten Jochen Baumgart, der neben den beiden ›Handelsherren‹ auf der Anklagebank saß. Obwohl Willke giftig von einer Mitschuld sprach, sagten Domaine und Betty Kahrmayr aus, daß Baumgart von nichts eine Ahnung gehabt hatte und überrumpelt worden sei. Auch die Aussagen Bunzels wogen etwas, obwohl er stark angetrunken im Gerichtssaal erschien.
    »50 Mark Ordnungsstrafe wegen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht!« diktierte Dr. Wolters. Bunzel sank in sich zusammen. Er schwieg von da ab und antwortete nur auf die Fragen, indem er die Hacken zusammenschlug, um stramme Haltung zuckte und mit fast schreiender Stimme seine Aussagen machte. Das war nicht zu verbieten, und die Zuschauer auf den Bänken qietschten vor Vergnügen.
    Nach sechsmonatiger Untersuchungshaft und einem dreitägigen Prozeß wurde Jochen Baumgart aus dem Gefängnis entlassen.
    Als sich das schwere Tor hinter ihm schloß und er auf der Straße stand – er sah auf die Uhr, es war sechs Uhr morgens –, war niemand da, der ihn erwartete. Der Vater nicht, Bunzel nicht, keiner von der Mannschaft.
    Er steckte sich eine Zigarette an und ging langsam die stille Straße hinab. Plötzlich löste sich aus einem Hauseingang eine dunkle Gestalt und kam Baumgart entgegen.
    Jochen blieb stehen. Sein Herz schmerzte und zuckte. Er fuhr sich mit beiden Händen an die Brust und wartete wie erstarrt, bis die Gestalt bei ihm war und die Hände zur Begrüßung hob.
    »Irene …«
    »Ich soll dich nach Hause bringen«, sagte sie schlicht.
    »Nach Hause? Wo ist dieses ›Zuhause‹?«
    »Die ›Fidelitas‹! Sie wartet im Hafen auf dich. Die ganze Mannschaft ist noch da.«
    »Und Mutter – und Vater -«
    »Sie warten. Und ich auch …«
    »Du, kannst du mir verzeihen?«
    »Das Leben geht doch weiter, Jochen. Damit es weitergeht, ist Hannes ja gestorben.«
    Er nahm ihre Hände und drückte sie an seine Lippen. So stand er eine ganze Zeit, mit geschlossenen Augen, weinend und vom Schluchzen geschüttelt.
    »Komm, laß uns gehen«, sagte er nach einer ganzen Weile.
    Im Hafen lag die ›Fidelitas‹. Weiß und schlank grüßte sie durch die Sommersonne zu ihm hinüber. Von allen Masten wehten Wimpel und Fahnen, sogar der Schornstein war mit Girlanden bekränzt. Als Baumgart zwischen den Schuppen hervortrat, gellte auf dem Deck die Trillerpfeife des Bootsmaats auf. Wie bei einem Kriegsschiff ging am Topp die Flagge hoch – die Mannschaft stand ausgerichtet an der Reling. Karl Bunzel marschierte das Fallreep hinab und baute sich grüßend vor Baumgart auf. Er schwankte, aber er war nicht betrunken, sondern er schwankte, weil er heulte wie ein geprügelter Hund, laut, langgezogen.
    »Mister!« heulte er, »Mister – ich melde: ein Kapitän …« Seine Stimme erstickte, er fiel Baumgart um den Hals.
    »Bunzel, du altes Saufloch!« sagte Baumgart mit zitternder Stimme. »Nun ist ja alles gut. Nun bin ich ja wieder bei euch –«
    Die Mannschaft strahlte, als Baumgart sie abging wie bei einer Parade. Er drückte jedem die Hand, und es waren Hände, die für ihn eine Welt zerreißen würden.
    In der Kajüte erwarteten ihn Erna und Peter Baumgart. Die Mutter hatte einen Obstkuchen gebacken – es roch nach starkem Kaffee und frischen Blumen.
    »Willkommen«, sagte der alte Baumgart knapp. »In zwei Stunden legen wir ab. Ich habe Ladung nach Rotterdam!«
    »Gratuliere, Vater!«
    »Warum? Es geht nichts über das alte, ehrliche Binnenschiffertum!«
    Jochen lächelte schwach. »Du hast recht, Vater.«
    »Väter haben immer recht!«
    »Ich sehe es ein –« Er umarmte die Mutter, die stumm in seinen Armen lag. Sie streichelte seinen Kopf, seinen Hals, seine Augen, seine Wangen, seinen Mund.
    »Ich wußte, daß du wiederkommst«, sagte sie. »Du bist nicht schlecht. Du bist nie schlecht gewesen …«
    Die ganze Gemeinheit seines Lebens kam ihm wieder zum Bewußtsein, das Haus in Duisburg, die Abende mit der Baronin und der kleinen Frau Konsul, die Erpressungen an Meerbach und Schleggel, der Amoklauf um die Aufträge, mit denen er dem Vater Arbeit und Brot genommen hatte, eine fast unübersehbare Kette von Gemeinheiten. Und die Mutter sagte, er sei nie schlecht gewesen. Nur Mütter können so etwas sagen. Nur Mütter in ihrer unendlichen Liebe.
    Und das Leben ging weiter.
    Die ›Fidelitas‹ fuhr auf allen nassen Straßen Europas. Es

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