Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
einer Gegenüberstellung«, sagte er. Blinzelnd wartete er, dass seine Augen sich an das Gleißen gewöhnten; als sie dann losgingen, behielt er die Hand über den Augen.
In der Bar stand Bambola hinter der Theke, seine Dschellaba so frisch wie ein Dokument, das noch niemand in Händen gehalten hatte.
Es war nach elf, also bestellten sie einen spritz. Vianello bat Bambola, große Gläser zu nehmen und viel Eis hineinzutun. Als die Drinks kamen, trug Vianello sie zu dem Tisch mit den Sitzbänken, der am weitesten vom Eingang entfernt war. In der Nische war es stickig, aber Brunetti hatte längst vor der Hitze kapituliert: Schlimmer konnte es nicht werden, immerhin waren sie dort ungestört.
Als sie einander gegenüber Platz genommen hatten, gab Brunetti es auf, so zu tun, als habe er von dem Telefonat nichts mitbekommen. »Deine Tante?«, fragte er.
Vianello nippte an seinem Drink, nahm einen größeren Schluck und stellte das beschlagene Glas auf den Tisch zurück. »Ja.«
»Du siehst besorgt aus«, sagte Brunetti.
»Das bin ich auch«, gestand Vianello und wölbte beide Hände um sein Glas, wie man es sonst mit heißen Getränken macht. »Und ich weiß nicht mehr weiter.«
»Wie das?«
»Am liebsten würde ich sie anschreien, aber das bringe ich nicht fertig. Das wäre die normale Reaktion, wenn Leute so etwas tun.« Er sah Brunetti an und wandte den Blick rasch wieder ab.
»Wenn Leute was tun?«, fragte Brunetti.
Ihre Blicke trafen sich kurz, aber dann sah Vianello wieder sein Glas an und sagte: »Verrückt werden. Den Verstand verlieren.« Er nahm das Glas zwischen beide Hände und stellte es mehrmals auf die Tischplatte, so dass dort ein Muster aus Ringen entstand, dann schob er das Glas darauf hin und her und löschte sie alle aus.
»Was hat sie getan?«
»Noch hat sie gar nichts getan«, sagte Vianello. »Aber bald. Wie gesagt, Zia Anita hat einen starken Willen, und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist sie nicht mehr aufzuhalten.«
»Was hat sie denn vor?«, fragte Brunetti und nahm nun endlich auch einen Schluck. Inzwischen war der Drink so wässrig, dass er fast keinen Geschmack mehr hatte; aber kalt war er, und das reichte.
»Sie will das Geschäft verkaufen.«
»Ich denke, das gehört deinem Onkel.«
»Das dachte ich auch. Er hat es aber nur geführt – und jetzt führen seine Söhne es.«
»Erklär mir das.«
»Rein juristisch gehört alles ihr. Als er das Geschäft aufgemacht hat, das Gebäude mit der Werkstatt und den Büros gekauft hat, riet man ihm, es aus steuerlichen Gründen auf den Namen seiner Frau einzutragen. Später könnten sie es dann auf die Jungen übertragen.« Vianello stöhnte.
»Aber das ist nicht geschehen?«
Vianello schüttelte den Kopf, leerte seinen Drink und ging Nachschub für sie beide holen, ohne Brunetti zu fragen, ob er noch durstig sei. Brunetti trank aus und schob das Glas in die Ecke.
Vianello kam bald zurück, aber diesmal nur mit Mineralwasser und Eis. Brunetti nahm dankbar ein Glas; das schmelzende Eis hatte den spritz ruiniert, den Campari verwässert und dem Prosecco jeden Geschmack entzogen.
»Warum will sie es verkaufen?«, fragte er.
»Weil sie Geld braucht«, sagte Vianello und trank einen Schluck Wasser.
»Komm schon, Lorenzo. Entweder rückst du jetzt raus mit der Sprache, oder wir machen uns wieder an die Arbeit.«
Vianello stellte beide Ellbogen auf den Tisch und nahm sein Kinn in die Hände. Schließlich sagte er: »Die Antwort steht in den Sternen.«
5
»Gesù Bambino«, flüsterte Brunetti. »Etwa wegen dieser Zeitschriften?«
»Das ist noch nicht alles«, antwortete Vianello bedrückt. Er schob die rechte Hand in den offenen Kragen seines Hemds und strich sich über den Hals. »Gott, wie ich diese Hitze hasse. Man kann ihr einfach nicht entkommen.«
Brunetti ließ sich nicht ablenken. Er nahm noch einen Schluck Wasser. Er und Vianello standen einander in nichts nach, beide kannten sie aus ihren vielen Vernehmungen von Zeugen und Verdächtigen alle Tricks. Ein Muster an Gleichmut, lehnte er sich mit verschränkten Armen zurück.
Vianello tat es ihm nach. »Mit den Horoskopen hat es angefangen. Dann kam die Radiosendung am Morgen hinzu, und schließlich hat sie diese Privatsender entdeckt, wo jemand sitzt und einem die Karten legt.« Er ballte seine rechte Hand zur Faust und schlug auf den Tisch, aber nur leicht, um seine Wut anzudeuten. »Eine Freundin hat ihr von diesen Sendungen erzählt, wie sehr den Leuten
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