Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
geholfen wird, die da anrufen.«
»Ist deine Tante auf solche Hilfe angewiesen?«, platzte es aus Brunetti heraus. Nach allem, was Vianello im Lauf der Jahre von ihr erzählt hatte, war sie ihm immer wie ein Fels in der Brandung vorgekommen.
In Vianello flackerte Ungeduld auf. So hatte Brunetti ihn noch nie gesehen. »Das wollte ich gerade erklären, Guido«, knurrte er. Offenbar selbst über seinen Tonfall erschrocken, öffnete Vianello die Faust und legte zum Zeichen der Entspannung den Arm lang ausgestreckt auf die Sitzlehne der Bank.
Brunetti lächelte, sagte aber nichts.
Vianello fuhr fort: »Ihr haben die guten Ratschläge Eindruck gemacht. Sie hielt diese Kartenleger für vernünftige Leute. Und hat ihren Kindern davon erzählt.« Er unterbrach sich, als erwarte er Zwischenfragen, doch Brunetti schwieg.
»So habe ich es erfahren«, fuhr der Inspektor fort. »Von meinem Cousin Loredano, als er vor ein paar Monaten einmal leichthin bemerkte, seine Mutter interessiere sich seit neuestem für Sterndeutung. Als höre sie neuerdings Radio Maria oder lese irgendwelche Gartenzeitschriften. Er dachte sich nicht viel dabei, aber einen Monat später rief mich meine Cousine Marta an und sagte, sie mache sich Sorgen um ihre Mutter, die nur noch von Horoskopen rede und diesen ganzen Quatsch offenbar allen Ernstes glaube. Marta wusste nicht mehr ein noch aus.« Vianello leerte sein Glas und stellte es auf den Tisch. »Ich konnte ihr auch nicht helfen. Sie war sehr besorgt, aber Loredano meinte, es werde sich schon legen, und das dachte ich auch, jedenfalls wollte ich es glauben.« Er sah Brunetti an und zog sarkastisch einen Mundwinkel hoch. »Ich nehme an, wir alle wollten keine Probleme. Also taten wir so, als wäre nichts.«
Leute betraten lärmend die Bar, aber die beiden achteten nicht darauf. Vianello fuhr fort: »Vor vier Wochen dann erzählte mir Loredano am Telefon, Zia Anita habe dreitausend Euro vom Firmenkonto abgehoben, ohne ihm ein Wort zu sagen.«
Als Brunetti auch dazu schwieg, berichtete Vianello weiter: »Loredano sah sich daraufhin die Kontobewegungen an und stellte fest, dass sie schon seit Monaten Geld abhob: mal fünfhundert, mal dreihundert, mal sechshundert. Als er sie danach fragte, sagte Zia Anita nur, schließlich sei das ihr Geld, sie könne damit machen, was sie wolle, es sei notwendig und für einen guten Zweck, sie tue es seinem Vater zuliebe.«
Brunetti wusste, alte Frauen hatten oft das Bedürfnis, ihr Geld für einen guten Zweck auszugeben, wovon meist die Kirche profitierte. Er selbst mochte anders über die Kirche denken, doch edle Spender hielten mit ihren guten Taten normalerweise nicht hinter dem Berg. Anders Vianellos Tante, was zu wilden Spekulationen über den Empfänger des Geldes verleitete.
»›Für einen guten Zweck‹«, wiederholte Brunetti ruhig. »›Seinem Vater zuliebe.‹«
»Mehr hat sie nicht gesagt«, antwortete Vianello.
»Wissen deine Cousins, um wie viel Geld es in etwa geht?«
»Einschließlich der dreitausend sind es bis jetzt ungefähr siebentausend. Aber sie hat ja auch eigenes Geld, und was sie damit macht, kann kein Mensch wissen.«
»War es das, worüber du eben mit ihr gesprochen hast?«, fragte Brunetti.
»Ich habe zugehört, nicht gesprochen«, sagte Vianello verdrossen. »Sie hat angerufen, um sich bei mir darüber zu beschweren, dass Loredano sie belästigt.«
»Sie belästigt ?«
Vianello konnte darüber nicht lachen. »So sieht sie das jetzt: Sie glaubt sich im Recht, und es ärgert sie, dass ihre Kinder sie zurückzuhalten versuchen.«
»Hilf mir auf die Sprünge, Lorenzo. Wie viele Kinder sind es noch mal?«
»Marta und Loredano sind die älteren. Und Luca und Paolo die beiden jüngeren. Die drei Jungen – eigentlich schon Männer – führen das Geschäft.«
»Und dein Onkel? Was macht der?«, fragte Brunetti.
Vianello hob unwillkürlich die Hände gen Himmel. »Wie gesagt: Der kümmert sich nicht weiter. Hat er noch nie getan, und jetzt, wo er älter und nicht mehr ganz gesund ist, ist es noch schlimmer. Loredano hat versucht, mit ihm zu reden und ihm die Lage zu erklären, aber er hat nur gesagt, seine Frau habe ihr eigenes Geld und könne damit machen, was sie wolle. Von ihm aus auch mit seinem. Wahrscheinlich hält er es für einen Beweis seiner Männlichkeit, wenn seine Frau mit Geld um sich werfen kann: Das zeigt, wie gut er für sie sorgt.«
»Auch wenn er nicht mehr arbeitet?«
»Gerade dann. Wo er sich auch sonst
Weitere Kostenlose Bücher