Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
sie eindringen oder es wenigstens versuchen. Also ist man gewarnt und trifft seine Vorkehrungen, oder jedenfalls sollte man das tun. Aber wenn Leute einem etwas im Vertrauen erzählen und sich darauf verlassen, dass man es nicht weitersagen wird, geben sie sich eine Blöße.« Sie spielte an ein paar Tasten herum, ohne dass der Computer ansprang.
»Auf alle Fälle werde ich einen Kaffee mit ihm trinken und sehen, was er mir über diesen Musterknaben zu erzählen hat.«
»Mein Informant ist überzeugt, dass es über ihn nichts in Erfahrung zu bringen gibt«, erklärte Brunetti. »Er meint, Fontana ist ein äußerst korrekter Mensch; er schien geradezu überrascht, dass ich mich überhaupt nach ihm erkundigt habe.«
»›Korrekt‹«, wiederholte sie mit Wohlgefallen. »Wie lange ist es her, dass ich dieses Wort gehört habe?«
»Sicher eine Weile«, sagte Brunetti. »Es ist schön, wenn man das von einem Menschen sagen kann.«
»Ja, nicht wahr?«, stimmte Signorina Elettra zu und dachte eine Weile schweigend nach. »Ich denke, das könnte man auch von meinem Freund beim Tribunale sagen.«
»Der dort arbeitet?«
»Ja.« Brunetti wartete auf mehr, sie sagte aber bloß: »Ich werde ihn nach Fontana fragen.«
»Versuchen Sie wenn möglich auch herauszufinden, ob er irgendetwas über eine Richterin Coltellini weiß«, bat Brunetti. Bisher hatte er damit gezögert, aber falls sie mit Fontana nicht weiterkommen sollten, führte vielleicht der andere Name auf der Liste irgendwohin.
»Luisa?«
»Richtig. Sie kennen sie?«
»Nein, aber ihre Schwester war eine Kollegin von mir. In der Bank. Sie gehörte zum Vorstand. Eine reizende Person.«
»Hat sie mal was von ihrer Schwester erzählt?«
»Nicht dass ich mich erinnern könnte«, sagte Signorina Elettra. »Aber ich kann sie fragen. Ab und zu treffe ich sie auf der Straße, und manchmal gehen wir dann einen Kaffee trinken.«
»Weiß sie, wo Sie arbeiten?«
»Nein. Ich habe ihr erzählt, ich hätte einen Job im Rathaus gefunden. Da fragen die meisten dann nicht weiter nach.«
»Meinem Informanten zufolge könnte Fontana ein Auge auf die Richterin geworfen haben.«
»Und sie will nichts von ihm wissen?«
»Richtig.«
»Kann ich nachfühlen«, sagte Elettra und wandte sich wieder ihrem Computer zu.
»Das sieht ihr ähnlich«, sagte Paola am Abend, als sie ausgestreckt auf dem Sofa lag und Brunetti ihr von seiner Unterhaltung mit Signorina Elettra und deren Bemerkungen über Unanständigkeit und Arglist erzählte. »Dass sie es für unanständiger hält, eine Frau zu hintergehen. Ich hatte gedacht, die Zeit der Solidarität unter Frauen sei vorüber.«
»Soweit ich das beurteilen kann, ging es nicht direkt um Solidarität unter Frauen«, sagte Brunetti. »Für sie hat Unanständigkeit vor allem mit Missbrauch von Vertrauen zu tun, nicht so sehr mit den Lügen, die man anderen auftischt. Männer, sagt sie, seien weniger verschwiegen und neigten zur Prahlerei, und das wiederum gebe ihr das Recht, alles zu verwenden, was sie ihr erzählen.«
»Und Frauen?«
»Die müssen ihrer Meinung nach erst viel Vertrauen fassen, bevor sie einem etwas verraten.«
»Falls es nicht Schwächen sind, was Frauen gewöhnlich verraten, während Männer über Stärken reden«, erwiderte Paola. Sie schaute auf ihre nackten Füße und wackelte mit den Zehen.
»Wie meinst du das?«
»Denk an die Dinnerpartys, auf denen wir waren, oder an Gespräche, die du allein mit Männern geführt hast. Meistens erzählen sie von irgendwelchen Erfolgen: bei einer Frau, im Job, bei Vertragsverhandlungen oder auch bloß beim Wettschwimmen. Für mich ist das eher Prahlerei als Vertrautheit.« Als er sie skeptisch ansah, sagte sie: »Erzähl mir nicht, du hättest noch nie einen Mann damit prahlen hören, wie viele Frauen er hatte.«
Brunetti überlegte kurz. »Doch, natürlich habe ich so was schon gehört«, sagte er und richtete sich dabei ein wenig auf.
»Frauen, zumindest Frauen in meinem Alter, würden das nicht vor Frauen tun, die sie nicht kennen.«
»Und vor denen, die sie kennen?«, fragte Brunetti erstaunt.
Ohne darauf einzugehen, sagte sie plötzlich in ganz anderem Tonfall: »Aber Falschheit hat durchaus ihren Zweck: Ohne sie und ohne Verrat gäbe es keine Literatur.«
»Verzeihung?«, fragte Brunetti, der nicht wusste, wie Signorina Elettras Bemerkungen sie so unvermutet auf literarisches Gebiet geführt hatten, so vertraut ihm dieses Gebiet auch war dank Paolas vielfältiger
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