Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
abzutun. doch es gelang ihm nur so etwas wie ein Räuspern. »Als ich damals in Neapel gearbeitet habe«, sagte er, »haben wir einmal einen Lieferwagen in der Nähe einer Pizzeria abgestellt und von dort aus gefilmt, wer da ein und aus ging. Wir hatten sogar eine zweite Kamera direkt gegenüber, so dass wir auch alle filmen konnten, die an den Tischen saßen. Einen ganzen Tag lang.«
»Und wie liefen die Geschäfte?«
»Insgesamt kamen acht Leute und blieben zum Essen. Wir haben sie gefilmt, wie sie auf ihre Pizza gewartet und sie dann gegessen haben. Und dann kam noch einer, der sechs Pizzas mit nach Hause genommen hat.«
»Lass mich raten«, sagte sein Gesprächspartner. »Die Gesamteinnahmen dieses Tages lagen deutlich über vierzehn Pizzas.«
Jetzt lachte Brunetti laut auf. »Die haben über zweitausend Euro eingenommen.«
»Was habt ihr gemacht?«
»Wir haben den Film an die Guardia di Finanza weitergegeben.«
»Und?«
»Es kam zum Prozess, und der Richter befand, die Filmaufnahmen stellten eine Verletzung der Privatsphäre dar und seien als Beweismaterial nicht zulässig, weil wir die Leute nicht darauf hingewiesen hätten, dass sie gefilmt wurden.« Und dann fügte Brunetti noch hinzu: »Genau das Gleiche wie die Sache mit den Gepäckdiebstählen am Flughafen.«
»Habe ich in der Zeitung gelesen.«
Brunetti sah auf seine Uhr: kurz vor Mittag. Er wollte unbedingt noch vor der Mittagspause mit Signorina Elettra sprechen, also sagte er: »Ich melde mich bei dir, wenn ich was höre«, und beendete das Gespräch.
Vielleicht, um vor sich selbst zu verbergen, wie sehr ihm daran lag, mit ihr zu sprechen, verzögerte Brunetti seine Ankunft und ging erst einmal in den Bereitschaftsraum, um den Alteingesessenen das Foto von Gorini zu zeigen. So markant das Gesicht des Mannes auch war: Keiner konnte sich erinnern, ihn jemals in der Stadt gesehen zu haben. Er ließ das Foto für alle Fälle da und ging. Signorina Elettra saß an ihrem Schreibtisch und knetete ihre Hand. Auf der Fensterbank lagen zwei Blumensträuße, halb ausgewickelt und schon ein wenig welk.
»Was ist passiert?«, fragte er.
»Eine Katastrophe. Es war eine einzige Katastrophe.«
»Erzählen Sie«, sagte er, schob die Blumen beiseite und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Fensterbank.
Sie presste beide Hände flach auf den Tisch, links und rechts von ihrer Tastatur. »Also, ich kaufe meine Blumen und gehe dann in sein Büro im Tribunale. Er ist da, und ich schlage vor, einen Kaffee trinken zu gehen.
Wir entscheiden uns für das Caffè del Doge, und er meint, wir sollten uns an einen Tisch setzen, nicht an der Bar stehen. Ich sage, ich hätte nicht viel Zeit, lasse mich aber überreden, und als wir sitzen, fängt er an, mir von seiner Arbeit zu erzählen, und ich spiele die interessierte Zuhörerin.
Um das Gespräch irgendwie auf Fontana zu bringen, erwähne ich einen der anderen Gerichtsdiener, Rizzotto, mit dessen Tochter ich zur Schule gegangen bin und den ich manchmal im Gebäude treffe. Dann komme ich auf Fontana und sage, ich hätte gehört, er sei ein ganz vorbildlicher Beamter. Und schon begann der Lobgesang, wie pflichteifrig und tüchtig er sei, wie lange er dort schon arbeite, dass solche Männer uns allen ein gutes Beispiel sein müssten, und kurz bevor ich einen Anfall bekomme und ihm die Blumen ins Gesicht schlage, sieht er plötzlich auf und sagt: ›Ah, da ist er ja.‹
Ich konnte nicht mehr verhindern, dass er aufstand und Fontana an unseren Tisch holte. Er trug Anzug und Krawatte. Nicht zu glauben, oder? 32 Grad im Schatten, und er trägt Anzug und Krawatte.« Sie schüttelte fassungslos den Kopf.
Für Brunetti hörte sich all das nicht nach einer Katastrophe an.
»Jedenfalls setzt er sich zu uns«, fuhr sie fort. »So eine schüchterne Gestalt, bestellt einen macchiato und ein Glas Wasser und sagt praktisch kein Wort, während Umberto immer weiter redet und ich im Boden versinken will.« Da hatte Brunetti seine Zweifel.
»Und während wir drei so gesellig beisammensitzen – wer kommt jetzt noch anspaziert? Meine Freundin Giulia mit ihrer Schwester Luisa!«
»Coltellini?«, fragte Brunetti und wusste selbst, wie überflüssig das war.
»Ja.«
»Giulia sieht mich, kommt rüber und sagt hallo, und dann kommt auch noch ihre Schwester, und ich denke, Fontana fällt gleich in Ohnmacht. Er springt so hastig auf, dass sein Kaffee umkippt und ihm die Hose vollkleckert. Es war schrecklich; er wusste nicht, ob er
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