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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Tricks, das Gespräch darauf zu lenken.
    »Überleg doch mal«, sagte sie mit einer ausladenden Geste. »Gilgamesch wird verraten, genau wie Beowulf, genau wie Othello; die Spartaner werden in einen Hinterhalt der Perser gelockt –«
    »Das ist Geschichte«, unterbrach Brunetti sie.
    »Wenn du meinst«, räumte Paola ein. »Aber was ist mit Odysseus? Ist der nicht auch nur ein grandioser Betrüger? Und Billy Budd, Anna Karenina, Jesus, Isabel Archer: Sie alle werden verraten. Sogar Kapitän Ahab…«
    »Von einem Wal ?«
    »Nein, er wurde ein Opfer seines Größenwahns und seiner Rachsucht. Seine Schwächen verraten ihn gewissermaßen.«
    »Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen, Paola?«, bemühte er sich um einen ruhigen Ton. Erschöpft von einem langen Tag, wanderten seine Gedanken zu den Fällen, die eigentlich keine waren und von denen nicht einmal feststand, ob es sich um Verbrechen handelte, so dass er nur inoffiziell ermitteln konnte. Und während er sich mit Treu und Glauben zu befassen hatte, wollte seine Frau mit ihm über einen Wal diskutieren.
    Sie kam zur Besinnung, drehte sich um und knuffte das Kissen, das hinter ihr auf der Armlehne des Sofas lag. »Ich wollte was ausprobieren. Ob ich daraus einen interessanten Artikel machen könnte.«
    »Ziemlich weit ab von Henry James, oder?«, fragte er, auch wenn er sich nicht ganz sicher war, ob sie in ihrer Liste nicht auch eine Romanfigur von James erwähnt hatte.
    Sie wurde noch sachlicher. »Das habe ich in letzter Zeit oft gedacht«, sagte sie.
    »Was hast du gedacht?«
    »Dass die Welt von Henry James mir allmählich zu klein wird.«
    Brunetti erhob sich und sah auf seine Uhr: Es war nach elf. »Ich glaub, ich geh jetzt schlafen«, sagte er. Etwas anderes wollte ihm in seiner Verblüffung nicht einfallen.

13
     
    Die offiziell zwei Wochen dauernden Ferragosto-Ferien fransten immer weiter an beiden Enden aus; nicht nur, um ihren Urlaub zu verlängern, sondern auch, um den Staus zu entgehen, nahmen die Leute immer wieder ein paar Tage mehr. Radio- und Fernsehnachrichten ermahnten unablässig zu besonnenem Fahren und berichteten von den zwölf Millionen Autos – oder vierzehn, oder fünfzehn –, die am Wochenende auf den Straßen erwartet wurden. Ein Reporter sagte, Stoßstange an Stoßstange gereiht, würde die Schlange sich von Reggio Calabria bis zum Gotthardpass erstrecken. Brunetti, der keine Vorstellung von der durchschnittlichen Länge eines Autos hatte, machte sich nicht die Mühe, das nachzurechnen. Er besaß zwar einen Führerschein, fuhr aber so gut wie nie und machte sich auch sonst nichts aus Autos. Sie waren groß oder klein, rot oder weiß oder was auch immer, und viel zu viele junge Leute verunglückten damit Jahr für Jahr tödlich. Er hatte beschlossen, dass sie mit dem Zug reisen würden: Jede Diskussion, ob sie einen Mietwagen nehmen sollten, hätte Chiara ohnehin nur zu einer ihrer berüchtigten ökologischen Brandreden veranlasst. Sie würden nach Mals fahren, dort am Bahnhof mit dem Auto abgeholt und zum Haus seines Cousins gebracht werden; von dort fuhr zweimal täglich ein Bus nach Glurns.
    Die ganze Familie war mit Reisevorbereitungen beschäftigt. Der Bücherstapel auf Paolas Frisierkommode wechselte von Tag zu Tag seine Zusammensetzung, je nach Stand der Überlegungen, welche Bücher sie im nächsten Semester mit ihren Literaturstudenten durchnehmen wollte. Brunetti sah sich die Titel jeden Abend an und wurde so zum Zeugen ihres Ringens: Jahrmarkt der Eitelkeit wurde von Große Erwartungen verdrängt, ein Austausch, den Brunetti sich mit dem unterschiedlichen Gewicht der Bücher erklärte; Der Geheimagent hielt sich drei Tage, bis er durch Herz der Finsternis ersetzt wurde, auch wenn der Gewichtsunterschied Brunetti nur minimal vorkam; einen Tag später lag statt Middlemarch plötzlich Die Türme von Barchester auf dem Stapel, ein Hinweis darauf, dass die Gewichtsregel wieder in Kraft war. Stolz und Vorurteil war von Anfang an dabei und hielt tapfer durch.
    Drei Tage vor der geplanten Abreise konnte er seine Neugier nicht mehr zügeln. »Warum hast du die dicken Bücher alle wieder weggetan und nur Eine gute Partie übriggelassen, ausgerechnet das dickste von allen?«
    »Oh, das ist nicht für die Studenten.« Paola schien von seiner Frage überrascht. »Das will ich schon seit Jahren noch einmal lesen. Zur Belohnung.«
    »Wofür willst du dich belohnen?«, fragte Brunetti.
    »Das fragst du jemand, der an der Ca’

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