Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
Giulia die Hand geben sollte oder nicht, so froh war er, die beiden zu sehen, aber Giulia hielt ihm nichts als eine Serviette hin. Und er tupft sich damit den Kaffee ab. Eine groteske Szene. Der arme kleine Mann. Er konnte es nicht verheimlichen. Es war, als hätte er ein Schild umgehabt, auf dem stand: ›Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.‹«
»Und die Richterin?«
»Die sagte hallo, beachtete ihn dann aber nicht weiter.«
»Ich wüsste nicht, was daran eine Katastrophe sein sollte«, sagte Brunetti.
»Die kam, als Umberto uns miteinander bekannt machte. Als die Richterin meinen Namen hörte, konnte sie ihre Überraschung kaum verbergen, sie warf Umberto einen Blick zu, dann Fontana, dann gab sie mir die Hand und versuchte zu lächeln.«
»Und wie haben Sie sich verhalten?«
»Als ob ich nichts mitbekommen hätte. Ich glaube nicht, dass sie mir was angemerkt hat.«
»Und weiter?«
»Sie hat sich zu uns gesetzt. Eben noch hatte es so ausgesehen, als wäre sie am liebsten vor Fontana weggelaufen, aber dann setzte sie sich dazu und fing an zu reden.«
»Worüber?«
»Wo ich jetzt arbeite, nachdem ich bei der Bank aufgehört hätte.«
»Was haben Sie ihr erzählt?«
»Dass ich im Rathaus arbeite, und als sie Genaueres wissen wollte, sagte ich, das sei alles so langweilig, dass ich nicht darüber reden wolle, und dann habe ich sie mit einer Frage nach ihrer Bluse abgelenkt.«
»Hat sie sonst noch etwas gesagt?«, fragte Brunetti.
»Als sie schließlich merkte, dass sie nichts aus mir herausbekommen würde, fragte sie Fontana in harmlosem Ton, wovon wir gesprochen hätten: ›Was für interessante Dinge hattet ihr denn zu besprechen, Araldo?‹«, machte Signorina Elettra die Richterin mit sacharinsüßer Stimme nach.
»Der Ärmste lief dunkelrot an, als sie ihn beim Vornamen anredete. Ich dachte schon, er kriegt einen Anfall.«
»Hat er aber nicht?«
»Nein. Und da er auch nicht auf ihre Frage antwortete, erzählte Umberto, wir hätten über die Arbeit am Gericht gesprochen.« Sie schüttelte den Kopf. »Das denkbar Schlimmste, was er sagen konnte.« Sie sah Brunetti an. »Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen, als er das sagte. Diese eisige Miene.«
»Wie lange ist sie dann noch geblieben?«, fragte Brunetti.
»Das weiß ich nicht. Ich habe meine Blumen genommen und gesagt, ich müsse ins Büro zurück. Umberto wollte mich noch zum traghetto begleiten: Er glaubt, ich arbeite in der Ca’ Farsetti, also musste ich über den Kanal und dann im Haupteingang verschwinden, weil er noch auf der anderen Seite stand und mir zuwinkte.«
»Aber die Richterin glaubt nicht, dass Sie dort arbeiten?«, fragte Brunetti.
»Wohl kaum. Das habe ich ihr deutlich angesehen. Immerhin ist sie Richterin. Da muss sie doch die Leute kennen, die in der Questura arbeiten.«
»Wer weiß«, redete Brunetti ihr gut zu.
Signorina Elettra stemmte sich hoch und kam so schnell auf ihn zu, dass er zur Seite trat, um ihr auszuweichen. Aber sie nahm bloß die Blumen und riss die Verpackung ab. Dann legte sie die zwei Sträuße auf ihren Schreibtisch, ging zu ihrem armadio, nahm zwei große Vasen heraus und verschwand damit auf den Flur. Brunetti blieb, wo er war, und versuchte zu begreifen, was sie ihm da eben berichtet hatte.
Als sie zurückkam, nahm er ihr eine der mit Wasser gefüllten Vasen ab und stellte sie aufs Fensterbrett. Sie brachte die andere zu dem kleinen Tisch an der Wand, holte einen der Sträuße, zerrte ohne Umstände die Gummibänder von den Stielen, warf sie auf den Schreibtisch, stopfte die Blumen in die Vase und wiederholte das Ganze mit dem zweiten Strauß.
Dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl, sah erst Brunetti an, dann die Blumen und sagte: »Die armen Blumen. Ich sollte das nicht an ihnen auslassen.«
»Ich finde, es gibt gar keinen Anlass, irgendetwas an irgendjemand auszulassen«, sagte er.
»Das würden Sie nicht sagen, wenn Sie Coltellinis Reaktion gesehen hätten«, sagte sie mit Nachdruck.
»Was wollen Sie jetzt machen?«, fragte er.
»Ich würde gern dem nachgehen, was Ihre Neugier auf die Richterin geweckt hat.«
14
Signorina Elettra begleitete ihn in sein Büro, wo er ihr die Papiere gab, die er aus dem Tribunale erhalten hatte. Er erläuterte, wie er sich die Verzögerungen in einigen der von Richterin Coltellini geleiteten Verfahren erklärte, und zeigte ihr, dass Fontana die Seiten jeweils unten abgezeichnet hatte.
»Kinderkram«, bemerkte sie in Anspielung auf
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