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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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dann den Dingen zu, die während seiner Abwesenheit zu beachten und zu erledigen waren. Sie wünschte ihm eine buona vacanza und alles Gute bis in zwei Wochen.
    Brunetti nahm ihre guten Wünsche als Anlass, sich zu verabschieden, ging nach Hause und begann andere Sachen als Bücher zu packen.
    Am nächsten Morgen stiegen die Brunettis in den 9-Uhr-50-Eurostar nach Verona, von wo sie mit zunehmender Vorfreude nach Norden fuhren. Ab Bozen sollte es mit einem Nahverkehrszug nach Meran weitergehen, dann mit der Vinschgaubahn nach Mals, wo sie das Auto erwartete. Hinter Verona bestand die Welt nur noch aus Rebstöcken. Brunetti erinnerte sich dunkel an ein Gedicht, das er im dritten Jahr Englisch hatte lesen müssen, irgendwas mit Kanone links und Kanone rechts, nur dass es hier Rebstöcke waren, kilometerweit in alle Richtungen und alle zur selben Größe zurechtgestutzt; und bestimmt waren auch die Trauben selbst alle exakt gleich groß und gleich im Geschmack.
    Die Zeit verging, wie Zeit im Zug vergeht: Brunetti schaute vergnügt aus dem Fenster in die offene Landschaft; Chiara unterhielt sich mit den zwei jungen Leuten, die das Abteil mit ihnen teilten; Raffi, auf einem der mittleren Sitze seiner Mutter gegenüber, versteckte sich unter Kopfhörern und nickte gelegentlich zum Rhythmus seiner Musik. Einmal, als sein Kopf besonders metronomisch auf und ab wippte, sah Paola von ihrem Buch auf und bemerkte zur Verwirrung ihrer fünf Mitreisenden auf Englisch: »Ein süßes Lied, doch ungehört noch süßer«, worauf sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Ausführungen von Henry James zuwandte.
    Brunetti bekam Bruchstücke der Unterhaltung zwischen seiner Tochter und den zwei am Fenster mit. Offenbar wollten sie vierzehn Tage bei Freunden in Bozen verbringen, Musik hören und sich erholen. Da die beiden erwähnt hatten, wie leicht sie in der Schule vorankamen und wie langweilig sie das Leben fanden, hätte Brunetti sie am liebsten gefragt, wovon sie sich denn erholen müssten; aber er ließ es und sah sich weiter die Weinberge an. Minitraktoren fuhren zwischen den Rebstockspalieren hindurch und sprühten sie ein. Als der Zug kurz vor Trient langsamer wurde, fiel ihm ein Traktorfahrer auf, der genau so einen weißen Schutzanzug trug wie die Leute von der Spurensicherung, nur dass er auch noch den Kopf mit Kapuze und Maske verhüllt hatte.
    Brunetti berührte Paola am Knie, und als sie aufblickte, zeigte er aus dem Fenster. »Sieht aus wie ein Marsmensch«, meinte er.
    Paola beobachtete das eine Weile, dann sah sie Brunetti an und fragte: »Verstehst du jetzt, warum wir Bio-Obst essen?«
    Als hätte die Erwähnung von etwas Essbarem seine Kopfhörer durchdrungen und einen immer wachen Instinkt alarmiert, sagte Raffi mit überraschend lauter Stimme: »Ich habe Hunger.« Ganz die italienische Mama – wie in den Filmen der fünfziger Jahre –, hielt Paola im Zug gekaufte Nahrungsmittel für ungesund und hatte daher eine Reisetasche mit Sandwichs, Obst, Mineralwasser, einer halben Flasche Rotwein und noch mehr Sandwichs vollgepackt.
    Auf ein Zeichen seiner Mutter hob Raffi die Tasche aus dem Gepäcknetz herunter. Er verteilte die Sandwichs an alle im Abteil, auch an die beiden jungen Leute, die nach der obligatorischen Weigerung dann doch gern eins nahmen. Es gab welche mit Schinken und Tomate, Schinken und Oliven, Mozzarella und Tomate, Ei, Thunfisch und Oliven und anderen Kombinationen dieser Zutaten. Raffi füllte sechs Pappbecher mit Wasser und verteilte sie.
    Brunetti erfüllte ein Gefühl der Ruhe und des inneren Glücks. Er war unterwegs gen Norden, gemeinsam mit den Menschen, die ihm am meisten bedeuteten. Alle waren gesund, allen ging es gut. Zwei Wochen lang konnte er in den Bergen wandern, Speck und Strudel essen, nach Herzenslust lesen und unter Federbetten schlafen, während der Rest der Welt vor Hitze verging. Er sah aus dem Fenster, wo statt der Rebstöcke jetzt Apfelbäume vorbeizogen.
    Die jungen Leute unterhielten sich über dies und das. Das Pärchen hatte sich überschwenglich bei Paola bedankt. Wenn die beiden sie und Brunetti ansprachen, sagten sie höflich »Lei«, während sie Chiara und Raffi automatisch duzten. Vieles, worüber sie redeten, blieb Brunetti verschlossen; er verstand nur selten, worauf sie anspielten, und manche ihrer Adjektive waren ihm vollkommen unbekannt. Aus dem Zusammenhang schloss er, dass refatto positiv gemeint war, während scrauso etwas extrem Negatives bedeutete.
    Sie fuhren

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