Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
nicht den Mut dazu.«
Vianello sortierte seine Füße um. Brunetti setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. »Es ist ein Puzzle. Wir haben viele Teile, aber keine Ahnung, wie die zusammenpassen.«
»Vielleicht tun sie das gar nicht«, meinte Vianello.
»Was?«
»Vielleicht passen sie nicht zusammen. Vielleicht hat er irgendwen aufgelesen und ist mit ihm auf den Hof gegangen. Und dann ist die Sache außer Kontrolle geraten.«
Brunetti stützte den Kopf auf eine Hand. »Ich hoffe, diese Hypothese beruht nicht auf der Vorstellung, dass schwuler Sex immer gefährlich sein muss.« Seine Stimme war neutral, seine Absicht nicht.
»Guido«, sagte Vianello leicht gereizt, »nimm mich bitte ernst, ja? Wir haben eine Menge dürftige Tatsachen und noch mehr Vermutungen, aber wir haben auch einen Mann, dessen Kopf dreimal mit voller Wucht gegen einen Marmorlöwen geschlagen wurde, und das passiert einem rechtschaffenen Menschen nicht, es sei denn, er hat etwas sehr Unbesonnenes getan.«
»Oder er gerät an einen, der nicht rechtschaffen ist, dafür aber desto unbesonnener«, fügte Brunetti rasch hinzu.
»Ich denke, wir –«, fing Vianello an, wurde aber von Pucetti unterbrochen, der mit solchem Tempo ins Zimmer stürzte, dass er erst vor Vianellos Stuhl zum Stillstand kam. »Das Krankenhaus…«, platzte er heraus, beugte sich weit vor und holte ein paarmal tief Luft, »…hat angerufen«, keuchte er, und im selben Moment klingelte Brunettis Telefon.
»Commissario«, sagte eine Stimme, die Brunetti nicht erkannte, »das Ospedale hat angerufen. Im Labor ist etwas passiert.«
»Was?«
»Klingt nach einer Geiselnahme.«
»Was?«, fragte Brunetti und dachte, da müsse jemand zu viel ferngesehen haben.
»Anscheinend hat sich jemand im Labor eingeschlossen und stößt Drohungen aus.«
»Wer hat Sie angerufen?«, fragte Brunetti.
»Der portiere. Er sagt, ein paar Leute konnten aus dem Labor entkommen. Einer von ihnen hat ihn verständigt.«
»Was soll das heißen? ›Entkommen‹?«, fragte Brunetti. Er hielt den Hörer zu und sagte zu Vianello: »Geh runter, und lass Foa kommen. Ich brauche eine Barkasse.« Vianello nickte und machte sich auf den Weg. Pucetti begleitete ihn.
Brunetti bekam gerade noch die Erklärung mit, die der andere ihm am Telefon gab: »Der portiere sagt, das habe der Anrufer ihm gesagt.«
»Was hat der Anrufer sonst noch gesagt?«
»Das weiß ich nicht, Signore. Der portiere hat die 113 angerufen, aber da ist niemand rangegangen, also hat er uns alarmiert. Das ist alles.«
»Rufen Sie ihn zurück, und sagen Sie ihm, wir sind unterwegs«, sagte Brunetti.
Als er draußen übers Pflaster zur Barkasse ging, stellte Brunetti fest, dass er sein Jackett im Büro vergessen hatte, und damit auch seine Sonnenbrille. Vom Morgenlicht betäubt, sprang er halb blind auf das Boot. Vianello packte seinen Arm und führte ihn aus dem grellen Licht in die Kabine. Aber selbst bei offenen Türen und den von Vianello zusätzlich aufgeschobenen Fenstern setzte die Hitze ihnen übel zu.
Foa stieß vor und zurück und raste in Richtung Rio di Santa Marina los. Immer wieder ließ er die Sirene aufheulen, um andere Boote zu warnen, dass entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung ein Polizeiboot angerast kam. Schließlich bremste er ab, steuerte in den Rio dei Mendicanti zum Bootsanleger des Ospedale. Brunetti und Vianello sprangen an Land, Brunetti drehte sich zu Foa um und sagte, er solle auf sie warten, dann hasteten sie ins Krankenhaus und versuchten dabei wie Männer auszusehen, die es aus medizinischen Gründen eilig haben. Die Fahrt hatte kaum fünf Minuten gedauert.
Brunetti ging voran, durch den Wandelgang, dann nach links und die Treppe zum Labor hinauf. Die Schleuse zum Labor befand sich am Ende eines Korridors, und vor der Tür standen fünf Leute, drei davon in weißen Kitteln und zwei in den blauen Uniformen der Wachmänner. Brunetti erkannte einen von Rizzardis Mitarbeitern, Comei.
»Wie ist die Lage?«, fragte Brunetti ihn.
Der junge Mann starrte ihn an. Seine blauen Augen bildeten einen erschreckenden Kontrast zu seinem braungebrannten Gesicht. Die Ferien waren vorbei.
Er erkannte Brunetti nicht gleich, dann aber wich endlich die Spannung aus seinen Zügen. »Ah, Commissario.« Er krallte sich an Brunettis Arm wie ein Ertrinkender, als könnte nur Brunetti ihn retten.
»Was ist passiert, Comei?« Brunetti hoffte, ihn mit seiner Stimme beruhigen zu können.
»Ich war da drin, und
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