Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
funktionierte die Klingel nicht und ich musste Araldo erst auf meinem telefonino anrufen, damit er runterkam und mich reinließ. Während wir über den Hof gingen, blieb er stehen und sah sich um. Und dann sagte er, das sei sein kleines Liebesnest.«
»Wie haben Sie darauf reagiert?«, unterbrach ihn Vianello.
»Mir war das peinlich, also bin ich darüber hinweggegangen.« Er überlegte. »Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Als Kinder waren wir so eng befreundet, und dann sagt er plötzlich so was. Ich konnte nichts damit anfangen.«
»Vielleicht war es ihm auch peinlich«, meinte Brunetti. Dann kam er zur Sache: »Hat er einmal Namen genannt oder irgendeine Bemerkung gemacht, aus der Sie auf die Identität eines seiner…« Brunetti suchte nach dem richtigen Wort: »Liebhaber« schien nach dem, was Fontana ihnen erzählt hatte, vollkommen daneben. »…Partner schließen könnten?«
Fontana schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts. Das hätte Araldo nicht für richtig gehalten.« Er wartete auf die Aufforderung, das genauer zu erklären, und als die nicht kam, fuhr er fort: »Er hatte nichts dagegen, von sich selbst zu erzählen, aber von anderen hat er nie ein Wort gesagt: keine Namen, nicht einmal, wie alt sie waren. Nichts.«
»Nur, dass er sie nicht lieben konnte?«, fragte Vianello mit trauriger Stimme.
Fontana nickte, er flüsterte: »Oder nicht durfte.«
Was dann noch von Fontana kam, war Routine. Außer Schulfreunden oder Arbeitskollegen hatte ihm sein Cousin niemals irgendwen vorgestellt, und niemals hatte er von irgendwem mit besonderer Zuneigung gesprochen, von Renato Penzo einmal abgesehen, von dem er als einem guten Freund geschwärmt hatte. Er war immer mit seiner Mutter in Urlaub gefahren und hatte einmal im Scherz bemerkt, das sei anstrengender als arbeiten.
In den letzten Monaten schien er nervös und zerstreut, und als Giorgio etwas dazu bemerkte, hatte sein Cousin auf Schwierigkeiten bei der Arbeit und zu Hause hingewiesen.
»Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe«, fing Brunetti an, »haben ihn als guten Menschen geschildert. Sie selbst haben diesen Ausdruck auch verwendet. Könnten Sie mir sagen, was genau Sie damit meinen?«
Fontana reagierte aufrichtig verwirrt. »Aber das weiß doch jeder, was das bedeutet.« Er sah Vianello hilfesuchend an, aber der Inspektor blieb stumm.
Und dann ließ Brunetti die Katze aus dem Sack. »Viele Leute würden ihn nicht mehr für einen guten Menschen halten, wenn sie erfahren, dass er homosexuell war.«
»Aber das ist absurd!«, fauchte Fontana. »Ich sage Ihnen: Er war ein guter Mensch. Voriges Jahr hat er Kleider für diese Frau gesammelt – dieses Hausmädchen – wie heißt sie noch?«
»Zinka?«, schlug Brunetti vor.
»Ja, richtig. Er hat Kleider für ihre Familie in Rumänien gesammelt und dorthin geschickt. Und ich weiß, dass sein Freund Penzo sich bemüht, ihr einen permesso di soggiorno zu besorgen. Und er hatte eine Engelsgeduld mit seiner Mutter. Er hätte alles getan, um sie bei Laune zu halten. Und er war zu keinerlei Unehrlichkeit fähig.« Dann fiel ihm noch etwas ein. »Ah, das habe ich noch vergessen. Vor etwa zwei Monaten hat er mir erzählt, er denke daran umzuziehen, könne aber den Gedanken nicht ertragen, wie sehr das seine Mutter aufregen würde.«
»Hat er gesagt, warum er wegwollte?«
Fontana schüttelte den Kopf. »Ja, aber das habe ich nicht verstanden. Es ging um seine Arbeit, und es sei nicht richtig, dass sie in diesem Palazzo wohnen. Aber er hat das nicht näher erklärt.«
»Meinen Sie, er wäre tatsächlich umgezogen?«, fragte Brunetti.
Fontana zog die Brauen hoch und schloss die Augen. Als er sie wieder aufmachte, sah er Brunetti ins Gesicht und sagte: »Wenn es seine Mutter beunruhigt hätte…« Er brachte den Satz nicht zu Ende.
»Ist diese Wohnung denn wirklich ihr Ein und Alles?« Brunetti mochte das immer noch nicht glauben.
»Sie haben mit meiner Tante gesprochen?«
»Ja.«
»Sie haben ihre hübschen roten Wangen und ihre schicke Frisur gesehen?«
»Ja.«
Fontana beugte sich auf seinem Stuhl so hastig nach vorn, dass Vianello ihm unwillkürlich auswich. »Meine Tante ist eine Furie«, sagte Fontana mit einer Heftigkeit, die Brunetti und Vianello überraschte. »Wenn sie nicht bekommt, was sie will, müssen andere Leute dafür büßen. Und sie will diese Wohnung. Sie will sie so sehr, wie sie noch nie in ihrem Leben etwas wollte.«
Eine Weile fiel keinem der drei mehr etwas ein, bis
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