Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
»Mir hat er geholfen.«
Hinter ihnen erhob sich mächtiges Getöse. Brunetti sah auf und erblickte drei Pfleger in grünen Kitteln, die mit einer Rolltrage die Tür blockierten. Mit lautem Gepolter krachten sie mehrmals an die Türpfosten, bis einer von ihnen nach vorne kam und die Bahre hindurchbugsierte. Dann eilten zwei zu der Frau am Boden und drängten die neben ihr knienden Männer ruppig zur Seite.
Brunetti und Rizzardi standen auf. Schon halb wahnsinnig vom Rauschen des Wassers sprang Brunetti zur Spüle und drehte den Hahn zu. Vianello, der mit den Helfern gekommen war, gesellte sich zu Rizzardi. Der dritte Pfleger schob die Trage heran, verstellte einen Hebel, und die Liegefläche senkte sich fast bis zum Boden. Dann hob er gemeinsam mit seinen Kollegen die Frau darauf. Wieder wurde der Hebel betätigt, und sie schwebte langsam bis in Hüfthöhe empor. Der Erste nahm einen Schlauch, der aus einer Flasche mit einer klaren Flüssigkeit über der Trage hing, suchte eine Vene an ihrem Arm und führte die Nadel ein.
Rizzardi kam heran, er schlang seine Finger um ihr Handgelenk und hielt es eine ganze Weile fest, entweder um ihren Puls zu messen oder um ihr irgendwie Trost zu spenden. »Bringt sie in die Notaufnahme«, sagte er.
Einer der Helfer wollte etwas sagen, aber der erste, der anscheinend die Leitung hatte, unterbrach ihn: »Er ist Arzt.«
Als Rizzardi seine Finger von ihrem Handgelenk nahm, schlug sie die Augen wieder auf und sagte: »Begleiten Sie mich, Dottore?«
Rizzardi lächelte sie an, und Brunetti wurde bewusst, wie selten er den Arzt in all den Jahren ihrer Bekanntschaft hatte lächeln sehen. »Selbstverständlich«, sagte er und ging neben den Pflegern her zur Tür.
27
Brunettis erster Gedanke galt der Contessa. Noch wusste er zwar nicht, in welcher Weise sich die von Signorina Montini manipulierten Labortests für Gorini ausgezahlt hatten, doch war ihm klar, sie hatte das zu seinem Vorteil und aus Liebe getan, aus Angst, dass er sie sonst verlassen würde. Wenn Gorini zu so etwas fähig war, wollte Brunetti seine Schwiegermutter von ihm fernhalten.
»Ich darf Paolas Mutter nicht zu ihm lassen.« Vianello, der von Brunettis Gespräch mit ihr wusste, verstand das nur zu gut. Brunetti nahm sein telefonino, wählte die Nummer des Palazzo Falier und wurde zu ihr durchgestellt.
»Ah, Guido, wie schön, deine Stimme zu hören. Wie geht es Paola und den Kindern?«, fragte sie, als ob sie nicht mindestens zweimal täglich mit ihrer Tochter telefonieren würde.
»Gut, sehr gut. Aber ich möchte dich wegen dieser anderen Sache sprechen.«
Nach einer winzigen Pause fragte sie: »Ach, du meinst diesen Gorini?«
»Ja. Hast du schon versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen?«
»Nur indirekt. Zufällig geht eine Freundin von mir, Nuria Santo, seit Monaten zu ihm, und sie sagt, sie würde mich gern mit ihm bekannt machen. Sie glaubt fest daran, dass er ihrem Mann das Leben gerettet hat.«
»Ach, wie denn?«, erkundigte sich Brunetti in einem Ton, der einen Anflug von Neugier erkennen ließ.
»Irgendwas mit seinen Cholesterinwerten. Sie sagt, damit stimme etwas nicht: Piero isst wie ein Spatz, Käse ist für ihn tabu, Fleisch mag er nicht, aber sein schlechtes Cholesterin– ich glaube, es gibt ein schlechtes und ein gutes…« Die Contessa dachte nach. »Ist es nicht seltsam, dass die Natur so manichäisch sein kann?« Brunetti ignorierte die Bemerkung und nahm sich vor, ihr weiter geduldig zuzuhören. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »was da gemessen wird, jedenfalls war das Ergebnis viel zu hoch, und von dem Guten war kaum etwas da. Nuria hat mir erzählt, Gorini habe ihrem Mann einen Kräutertee empfohlen – unglaublich teuer –, der das schlechte Cholesterin garantiert nach unten bringen würde, und so war es dann auch, und jetzt hält sie ihn für einen Heiligen und singt in unserem ganzen Freundeskreis ein Loblied auf ihn.«
»Hast du schon einen Termin bei ihm?«, fragte Brunetti so beiläufig wie möglich.
»Nächsten Dienstag«, sagte sie und lachte. »Ist er nicht clever? Lässt die Leute eine Woche warten, bevor er sie bei sich empfängt.«
»Donatella, geh da besser nicht hin.«
Alarmiert von dieser Bitte und auch von dem Tonfall, in dem sie vorgetragen wurde, fragte die Contessa: »Soll ich das Nuria auch sagen?«
Wie konnte er diese andere Frau warnen, ohne das Wild aufzuscheuchen? »Vielleicht kannst du ihr empfehlen, den Termin zu verschieben.«
Die Contessa schwieg
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