Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
Brunetti schließlich fragte: »Und deswegen hat Ihr Cousin seine Pläne aufgegeben?«
»Das weiß ich nicht, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, könnte das der Grund gewesen sein, warum er bei unseren letzten Begegnungen so nervös gewesen ist.«
»Hat Ihr Cousin mal eine Richterin Coltellini erwähnt?«, fragte Brunetti plötzlich.
Fontana konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Ja. Allerdings. Seit ein paar Jahren, na ja, vielleicht seit zwei. Er war ganz begeistert von ihr. Sie war immer sehr freundlich zu ihm und schien von seinem Diensteifer sehr angetan.« Fontana dachte kurz nach. »Ab und zu hat Araldo sich mal in eine Frau verknallt, besonders in solche Frauen, mit denen er arbeitete oder die mehr Macht und Verantwortung hatten als er.«
»Und was lief dann mit diesen Frauen?«
»Na ja, früher oder später hat seine Begeisterung sich immer gelegt. Oder sie taten etwas, was er nicht billigen konnte, und dann sanken sie in seiner Achtung und wurden wieder behandelt wie alle anderen.«
»War das bei Richterin Coltellini auch so?« Als Brunetti diese Frage stellte, war er sich bewusst, wie sehr Giorgio Fontana und ihr Umgang mit ihm sich geändert hatten, seit er zu ihnen ins Büro gekommen war. Verschwunden war sein unterwürfiges und zaghaftes Verhalten. Die scheinbare Unsicherheit hatte sich in Klugheit und Feingefühl verwandelt. Demnach ließ sich seine anfängliche Nervosität der Furcht zuschreiben, die jeder normale Bürger empfindet, wenn er es mit der Polizei zu tun bekommt.
Den Anfang von Fontanas Antwort hatte Brunetti nicht mitbekommen. »…auf einmal alles anders. Als er sie nicht mehr erwähnte – mir fiel das auf, weil er vorher immer so begeistert von ihr gewesen war –, fragte ich nach ihr, und er sagte, er habe sich in ihr geirrt. Und das war’s. Mehr habe ich nicht in Erfahrung bringen können.«
»Haben Sie Ihre Tante seit seinem Tod gesehen?«
Fontana schüttelte den Kopf. Erst nach längerem Schweigen sagte er: »Morgen ist die Beerdigung. Da werde ich sie sehen. Und das wird hoffentlich das letzte Mal gewesen sein.«
Brunetti und Vianello warteten.
»Sie hat sein Leben zerstört. Er hätte mit Renato zusammenziehen sollen, als er die Möglichkeit dazu hatte.«
»Wann war das?«, fragte Brunetti.
Als Fontana ihn ansah, fand Brunetti seine Augen noch trauriger als vorhin. »Das spielt doch keine Rolle mehr, oder? Er hätte es gekonnt, er hätte es tun sollen, aber er hat es nicht getan, und jetzt ist er tot.«
Fontana stand auf, griff über den Schreibtisch und gab Brunetti die Hand, dann Vianello. Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür und verließ das Büro.
26
Nachdem Fontana gegangen war, blieb im Raum ein Schweigen zurück, in das hinein weder Brunetti noch Vianello etwas sagen wollten. Nach einiger Zeit stand Brunetti von seinem Schreibtisch auf und ging zum Fenster, aber auch dort regte sich kein Lüftchen, das gegen den lastenden Nachhall von Fontanas Worten und die stumpfe Schwüle angekommen wäre. »Meine Familie schläft in Federbetten, und wir müssen morgen zu einer Beerdigung«, sagte er und sah aus dem Fenster.
»Wo Nadia und die Kinder weg sind, habe ich sowieso nichts Besseres vor«, sagte Vianello schwermütig. »Wahrscheinlich fange ich bald an, mit mir selbst zu reden. Oder bei McDonald’s zu essen.«
»Da sind Selbstgespräche wohl noch gesünder«, bemerkte Brunetti. Dann wieder ernst: »Du hörst zu, ich rede. In Ordnung?«
Vianello verschränkte die Arme vor der Brust, rutschte auf seinem Stuhl nach unten, streckte die Beine von sich und legte die Füße übereinander.
Brunetti lehnte sich ans Fensterbrett und stützte sich mit beiden Händen ab. »Die DNA -Spuren, die Rizzardi an Fontanas Leiche gefunden hat, nützen uns nichts, solange wir keine Vergleichsprobe haben. Penzo und Fontana waren kein Liebespaar, was auch immer das heißen soll. Die Mutter könnte gewusst haben, dass er schwul war, hat sich aber offenbar mehr dafür interessiert, die Wohnung zu behalten. Fontana war in Richterin Coltellini verknallt, was sie entzweit hat, haben wir noch zu ermitteln. Fontana stand auf anonymen Sex. Jemand vom Tribunale sagt, er stand auf gefährlichen Sex. Er hatte Streit mit seinen Nachbarn; warum genau, wissen wir nicht. Einige Verfahren, für die Richterin Coltellini zuständig war, haben sich außergewöhnlich lange hingezogen. Fontana wollte nicht über sie reden. Er wollte aus der Wohnung ausziehen, hatte aber offenbar
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