Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
mich nicht überrascht«, korrigierte er sich. »Ich hatte mir das schon seit Jahren gedacht. Aber es hat mir nichts ausgemacht.«
»Hat es seinen Eltern etwas ausgemacht, was meinen Sie?«, fragte Vianello. »Waren die überrascht?«
»Sein Vater war schon tot, als Araldo es mir erzählt hat.«
»Und seine Mutter?«, fragte der Inspektor.
»Ich weiß es nicht. Sie ist sehr viel klüger, als sie sich anmerken lässt. Kann sein, dass sie es gewusst hat. Oder geahnt.«
»Hätte es sie beunruhigt?«, fragte Vianello.
Fontana hob die Schultern, wollte schon antworten, überlegte und fuhr dann hastig fort: »Solange niemand davon wusste und er die Miete zahlte, war es ihr egal, würde ich sagen.«
Brunetti unterbrach ihn: »Ist es nicht ungewöhnlich, so etwas über die Mutter eines anderen zu sagen?«
»Sie ist eine ungewöhnliche Frau«, sagte Fontana und bedachte ihn mit einem schneidenden Blick.
Sie schwiegen alle drei. So interessant ein Gespräch über Signora Fontana auch sein könnte, Brunetti glaubte nicht, dass es ihnen weiterhelfen würde. Zeit, auf Fontanas Tod zurückzukommen. »Hat Ihr Cousin jemals etwas von seinem Privatleben erzählt?«, fragte er.
»Sie meinen Sex?«, fragte Fontana.
»Ja.«
Wieder zupfte er an der Bügelfalte, aber gegen die Feuchtigkeit war nichts auszurichten. »Er hat…«, fing er an und räusperte sich mehrmals. »Er hat einmal gesagt, dass er mich beneidet.« Er verfiel in Schweigen.
»Beneidet? Weswegen, Signor Fontana?«, drängte Brunetti ihn schließlich.
»Weil ich meine Frau liebe.« Er wandte den Blick von Brunetti ab.
»Und warum das?«, fragte Brunetti.
Wieder musste Fontana sich erst räuspern, dann antwortete er, ohne ihn anzusehen: »Weil er – so hat er sich ausgedrückt – niemals mit jemandem schlafen konnte, den er wirklich geliebt hat.«
25
Brunetti deutete mit einem Nicken an, dass ihm auch dies schon bekannt sei, und sagte mit viel Anteilnahme in der Stimme: »Das muss ihm sein Leben sehr schwergemacht haben.«
Fontana zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Irgendwie schon, aber nicht wirklich.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen«, sagte Brunetti, obwohl er ihn, wenn er an Fontanas Mutter dachte, vielleicht doch verstand.
»Auf die Weise konnte er sein Gefühlsleben von seinem Sexleben trennen. Er hat mich und seine Mutter und seinen Freund Renato sehr gern gehabt, aber wir waren – wie soll man das nur ausdrücken? – sexuelles Sperrgebiet.« Er schien darüber nachzudenken, was er da gesagt hatte, und sprach dann weiter. »Na ja, Renato vielleicht auch nicht. Aber Araldo konnte keine Unordnung in seinem Leben ausstehen. Er wollte diese Dinge auseinanderhalten. So würde keine Unordnung aufkommen. Dachte er jedenfalls.« Wieder dieses Achselzucken. »Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber für mich klingt das logisch. Ich kenne ihn schließlich. Ich weiß, wie er ist. War.«
»Sie sagten eben, Signore, das könnte etwas mit seinem Tod zu tun haben«, sagte Brunetti. »Würden Sie uns das bitte erklären?«
Fontana faltete sittsam die Hände im Schoß und antwortete: »Dass er diese Dinge voneinander getrennt hielt, gab ihm die Freiheit – falls man das so nennen kann –, anonymen Sex zu haben. Als wir jünger waren… war das weiter kein Thema. Und dann habe ich mich, nun ja, verändert. Aber Araldo nicht.«
Er schwieg, und nach einiger Zeit fragte Brunetti: »Hat er Ihnen davon erzählt?«
Fontana hielt den Kopf schief. »Sozusagen.«
»Verzeihen Sie«, sagte Brunetti, »aber das verstehe ich nicht.« Er glaubte schon, es zu verstehen, wollte aber von Fontana hören, wie er sich das dachte.
»Er hat mir manches erzählt, Fragen beantwortet, einiges angedeutet«, sagte Fontana und stand plötzlich auf. Zupfte dann aber nur die Hosenbeine von der Rückseite seiner Oberschenkel und machte ein paar Schritte auf der Stelle, bis der Stoff sich gelockert hatte. Dann setzte er sich wieder und sagte: »Ich wusste, was er mir sagen wollte, auch wenn er nichts ausgesprochen hat.«
»Hat er Ihnen erzählt, wo das stattgefunden hat?«, fragte Brunetti.
»Hier und da. Bei anderen Leuten zu Hause.«
»Nicht bei ihm?«
Fontana sah ihn scharf an und fragte: »Haben Sie seine Mutter kennengelernt?«
»Selbstverständlich«, sagte Brunetti und senkte kurz den Blick.
Als wolle er seine heftige Bemerkung wiedergutmachen, erklärte Fontana in sachlichem Ton: »Als ich die beiden einmal besuchen wollte,
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