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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
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macht mir nichts mehr aus, wenn ich die Mütze aufsetze.“
    „Sicher?“
    „Es macht mir nichts mehr aus.“ Sie
hatte plötzlich das Gefühl, daß ihre frühere Reaktion auf die Mütze dumm und
unvernünftig gewesen war, und schämte sich.
    Nathan gab ihr die Mütze, und sie
setzte sie auf. „Sehe ich jetzt aus wie ein Junge?“ fragte sie.
    „Du siehst okay aus“, erwiderte Nathan,
doch hundertprozentig überzeugt war er nicht.
    Sie gingen am Strand entlang, der
verglichen mit Brighton fast menschenleer war. Nur ein paar vereinzelte
Grüppchen vom Campingplatz oben lagen am Wasser, und niemand nahm Notiz von
Julia und Nathan. Zwei Jungen am Strand waren etwas völlig Normales.
    Auf den losen Steinen kamen sie nur
mühsam voran. Ab und zu mußten sie über größere Felsbrocken klettern. Nathan
ging ganz bewußt hinter Julia, er wollte sehen, wie sie die Hindernisse
überwand. Ihre Verkleidung bereitete ihm immer mehr Kopfzerbrechen.
    „Julia“, begann er, als er wieder neben
ihr ging, „kannst du nicht etwas mehr wie ich gehen?“
    „Warum?“
    „Damit du mehr wie ein Junge aussiehst.“
    „Oh, deshalb.“ Sie schwieg ein paar
Minuten. „Muß ich wirklich ein Junge sein?“ fragte sie schließlich.
    „Wie meinst du das?“
    „Könnte ich nicht einfach ein Mädchen
sein, das eben solche Kleider trägt?“
    „Okay, wenn du willst.“
    „Das wäre auf jeden Fall einfacher.
Dann muß ich nicht immer dran denken.“
    „Okay.“ Schade, daß seine Idee nicht funktioniert
hatte, aber so schlimm war es auch wieder nicht.
    Sie kämpften sich weiter über Steine
und Felsen. Jetzt waren sie ganz allein am Strand, ganz allein in einer
verlassenen, sonnenlosen Welt, wo alles außer den roten Klippen grau war. „Ich
mag diese Küste nicht“, sagte Julia ungefähr zum zehnten Mal. „Es gibt ja nicht
mal ein Meer hier.“
    Das stimmte. Das Wasser schien
unendlich weit draußen zu sein, ein kalter, schieferfarbener Streifen am
Horizont hinter Schlamm und Pfützen.
    „Macht nichts“, sagte Nathan, „wir
kommen bestimmt bald zu den Geschäften und den Frittenbuden und den
Spielautomaten.“
    Aber noch gab es keinerlei Anzeichen
für solche Segnungen der Zivilisation, und Julia konnte ihre Füße bald nicht
mehr heben.
    „Nathan, wo schlafen wir heute nacht?“
    „Du hast doch schon geschlafen — im
Wohnwagen.“
    „Das weiß ich selber, aber wir müssen
trotzdem irgendwas finden, wo wir heute nacht bleiben können.“
    „Sollen wir uns wieder eine Pension
suchen?“
    „Mann, wir können doch in keine
Pension! Ausgeschlossen!“
    „Warum?“
    „Sie werden fragen, warum wir ohne
unsre Eltern kommen.“
    „Könnten wir nicht wieder sagen, daß
unsre Mutter im Krankenhaus liegt?“
    „Du bist doof, Nathan, du bist echt
doof. Das können wir natürlich nicht sagen.“
    „Warum nicht?“
    „Weil ich jetzt nicht mehr erwachsen
aussehe.“
    „Oh, stimmt. Hab ich nicht dran
gedacht. Du könntest aber sagen, du bist dreizehn.“
    „Das ist nicht alt genug.“
    „Du könntest dir wieder Make-up kaufen.“
    Julia schüttelte den Kopf. „Mit der
Frisur nicht mehr. Wenn ich mir bloß die Haare nicht abgeschnitten hätte.“
    „Sie wachsen wieder.“
    „Wo bleiben wir heute nacht? ... Du
hast was von einem Zelt gesagt.“
    „Ja, aber ich glaube nicht, daß wir
heute noch ein Zelt kriegen“, meinte Nathan unglücklich. „Es ist bestimmt schon
spät.“
    „Wie spät?“
    „Weiß ich doch nicht. Vielleicht fünf
oder so. Wir können froh sein, wenn wir noch ein offenes Geschäft finden, wo
wir deinen Anorak kaufen können.“
    „Ich kann nicht die ganze Nacht ohne
Anorak sein, da frier ich mich ja zu Tode.“
    „Wenn es sein muß, könnten wir in der
Höhle da bleiben.“ Nathan wäre fast über den Eingang gestolpert. Jetzt schaute
er mit seinen kurzsichtigen Augen hinein, heilfroh, eine Lösung für ihr Problem
gefunden zu haben.
    Julia besah sich die Höhle ohne große
Begeisterung. Es war kaum mehr als ein Felsspalt.
    „Nicht ohne meinen Anorak. Ich geh
zurück und suche meinen Anorak.“
    „Nein — Jule, bitte nicht. Da ist der
Wohnwagen-Mann, womöglich ist er am Strand. Er könnte uns sehen, oder die Frau
könnte uns sehen. Vielleicht hat er auch den anderen Leuten schon gesagt, daß
sie nach uns Ausschau halten sollen. Vielleicht hat er der Polizei Bescheid
gesagt.“
    „Ich geh trotzdem.“
    „Du kannst meinen Anorak haben!“
    Das war ein riesengroßes Opfer. Julia
schaute ihn ungläubig

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