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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
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an. „Wirklich?“
    „Ja. Nur für heute nacht allerdings,
falls wir keinen mehr kaufen können.“
    Sie stapften weiter, bis sie zu ein
paar großen Felsbrocken kamen. Inzwischen hatten sie die Hoffnung fast schon
aufgegeben, noch irgendwelche menschlichen Behausungen zu finden. Wie es aussah,
waren sie am Ende der Welt angelangt. Plötzlich stieß Julia ein Triumphgeheul
aus. „Hurra! Nathan, schau mal!“
    „Was?“
    „Bist du blind? Ach ja, entschuldige...
Aber schau trotzdem — Häuser, da oben auf den Klippen! Und eine Treppe.“
    Sie stolperten zur Treppe und stiegen
hinauf. Oben würden endlich die Geschäfte und Spielhallen sein. Endlich waren
sie zu einem richtigen Strand gekommen.
    Doch so war es keineswegs. Sie sahen
nur eine Straße mit alten, niedrigen Fachwerkhäusern. Es gab allerdings eine
Frittenbude und auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch ein Geschäft mit
einer großen Landkarte im Fenster. Die Beine taten ihnen weh, die Füße
schmerzten vom langen Laufen über die Steine, und von dem Ort vor ihnen hielten
sie vorerst nicht allzuviel. Doch etwas weiter gab es eine Art Promenade und so
etwas wie einen Hafen, den sie sich allerdings nicht genauer ansehen konnten,
da — welche Freude — hinter der nächsten Straßenecke eine
Miniaturgeschäftsstraße mit allen möglichen Läden abzweigte.
    Die Läden waren noch offen, also konnte
es noch nicht allzu spät sein. Sie fanden ein Geschäft, wo es Anoraks gab, und
Julia probierte einen an. Nachdem sie den kalten Wind lang genug auf ihren
bloßen Armen gespürt hatte, fühlte sie sich warm eingemummelt wie im Himmel. „Ich
nehme ihn“, sagte sie. „Meiner ist mir geklaut worden.“
    „So was“, sagte die Verkäuferin. „Habt
ihr es der Polizei gemeldet?“
    „Nein“, erwiderte Julia, „er war schon
alt.“
    Da sie schon mal dabei waren, kauften
sie sich gleich noch jeder einen warmen Pullover, und Julia erstand außerdem
Unterwäsche und ein T-Shirt zum Wechseln. Sie packten Julias Sachen in Nathans
Strandtasche und verließen den Laden. In der Frittenbude, die sie vorher
gesehen hatten, kauften sie sich etwas zu essen, setzten sich damit auf eine
Bank beim Hafen und ließen es sich schmecken.
    „Kaufen wir die Zelte dann morgen,
Nathan?“
    „Ja, morgen.“
    Für diesen Tag hatten sie genügend
Probleme bewältigt. Im Moment konnten sie entspannen, in ihren neuen Pullovern
machte ihnen der kalte Wind nichts aus. Und für die Nacht hatten sie die Höhle.
Die Aussicht darauf war zwar nicht sonderlich verlockend, aber es war ja nur
für ein paar Stunden. Morgen würde alles wieder gut werden. Wahrscheinlich.
Morgen war ein neuer Tag.
    Es herrschte immer noch Ebbe, und der
kleine Hafen lag im dicken grauen Schlick. Direkt vor ihnen ankerte ein großes
Schiff — groß zumindest im Vergleich zu den kleinen Segelbooten, die sonst hier
und da festgemacht waren. Ein alter Mann, wahrscheinlich ein Einheimischer,
ließ sich neben Nathan auf die Bank fallen und sagte sehr freundlich guten
Abend. Nathan fand den Mut, ihn zu fragen, wohin das große Schiff denn ginge.
    „Das da? Norwegen, glaube ich“,
antwortete der alte Mann, und der Traum, den Nathan während der langen sonnigen
Tage in Brighton geträumt hatte, kam der Wirklichkeit ein Stückchen näher. Es
war jedoch immer noch eine ganz private Sache, etwas, das er weder mit Julia
noch mit sonst jemandem teilen konnte. Nathan schob seinen Traum für den
Augenblick beiseite.
    Auf der Promenade waren nur noch sehr
wenig Leute. Es war kalt und wurde langsam dunkel. Schwarze Regenwolken standen
drohend am Himmel.
    Alle sind drinnen, dachten sie, in
ihren Häusern oder Pensionen oder Wohnwagen. Schauen höchstwahrscheinlich fern.
Jedenfalls haben sie es warm und trocken.
    „Wir gehen jetzt am besten zu dieser
Höhle zurück“, meinte Nathan.
    „Ja, und wir beeilen uns besser. Sie
denken sonst, da stimmt was nicht, wenn sie uns im Regen den Strand entlang
laufen sehen.“
    Zurück zu dem steinigen Strand und den
Felsen. Die Höhle bot kaum Behaglichkeit. Der Fels hatte scharfe Kanten, und es
tropfte ein wenig von der Decke, doch wenigstens waren sie aus dem Wind, und
falls es regnete, blieben sie einigermaßen trocken. Außer ihnen war keine
Menschenseele mehr am Strand. Julia und Nathan saßen zusammengekauert
nebeneinander und beobachteten im schwindenden Licht, wie das Meer endlich doch
näherkroch.
    An Schlaf war nicht zu denken. Es ging
vielmehr darum, die Nacht auszusitzen,

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